Wie Einigkeit wird

Martin Luther hat einmal zu Eisleben in einer Verhandlung, bei der große Uneinigkeit zutage trat, folgende Geschichte erzählt: "Wenn man einen Baum mit vielen knorrigen Ästen und Zweigen hätte abgehauen, und man wollte ihn in ein Haus oder eine Stube bringen, da muss man ihn nicht vorne bei dem Wipfel fassen und hineinziehen wollen, denn da würden sich die Äste sperren und zurücklegen, denn sie stehen alle gegen das Haus oder die Stube; und wenn man also mit Gewalt den Baum in das Haus oder die Stube wollte dehnen, so zerbräche man alle Äste, ja, man würde den Baum gar nicht ins Haus bringen.
Aber also müsste man tun: den Baum müsste man am Stamme angreifen, da er abgehauen wär, da denn alle Äste von der Tür wegstünden, und dann den Stamm zur Tür hineinziehen, dann biegten sich die Äste fein zusammen, und man könnte den Baum ohne alle Mühe, Beschwerung und Arbeit ins Haus bringen.
Also soll's auch zugehen, wenn man will Einigkeit machen, da muss einer dem anderen nachgeben und nachlassen; sonst, wenn ein jeglicher will recht haben und keiner dem anderen weichen und fein zusammenrücken, da wird nimmermehr Einigkeit; denn die Äste sperren sich und stehen gegen die Haustür, man kann sie also nicht hereinbringen."

 

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 666
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