Wie die Sünde faszinieren kann

In einem Kulturfilm habe ich vor Jahren eine unglaubliche Geschichte erlebt. Eine Schlange fängt ein Kaninchen. Bevor ich das gesehen hatte, hätte ich niemals geglaubt, dass Schlangen, die sich nur relativ langsam fortbewegen können, ein flinkes Kaninchen fangen können. Es wickelte sich so ab: Das Kaninchen lief ahnungslos in großem Abstand an der Schlange vorbei. Plötzlich schnellte der Kopf der Schlange hoch, das Kaninchen zuckte zusammen. Es hatte die Bewegung miterlebt. Es lief noch einige Schritte und drehte sich dann um. Die starren Augen der Schlange blickten es wie hypnotisierend an. Es rührte sich nicht vom Fleck. Und die Schlange kroch heran. Es hätte fliehen können. Aber es saß wie angewurzelt. Als die Schlange nah genug herangekommen war, öffnete sie das Maul, und das Kaninchen steckte zitternd seinen Kopf in den Rachen.
Die Sünde fasziniert. Das macht sie gefährlich. Sie hypnotisiert den Menschen und zieht ihn in den Bann. Wer da seiner Tugend und Standfestigkeit vertraut, wird schnell ein Opfer seiner Selbsttäuschung. Das Kaninchen hätte seinen schnellen Beinen vertrauen können, aber es lag nicht an den Beinen. Das Spiel mit der Sünde ist ein Spiel mit dem Feuer. Mit der Sünde zu kokettieren, ist Leichtsinn.

Quelle: Mach ein Fenster dran, Heinz Schäfer, Beispiel 635
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