Wie das ständige Vergleichen Menschen entfremdet
Ein Seelsorger berichtet: Wie mir über den oberflächlichen Vergleichen der Nächste als Mensch entschwindet, ist mir klargeworden, als jemand zu mir kam und neiderfüllt sagte: "Sehen Sie, ich habe immer Pech, obwohl ich mich viel mehr anstrenge als Herr X und bestimmt genausoviel Köpfchen habe. Aber Herr X zieht immer das große Los. Seine Kinder kriegen ständig Prämien in der Schule, während ich meine Früchtchen für teures Geld auf eine auswärtige Penne schicken muss. Auch mit meinem Personal habe ich dauernd Pech; Herr X aber hat Mitarbeiter, die Gold wert sind. Ja, mit solchen Leuten kann man etwas auf die Beine stellen; das ist keine Kunst." - So ging die Litanei noch lange weiter.
Schließlich hatte er über dem ewigen Vergleichen ebenfalls verstellte Gebärden bekommen, ähnlich wie Kain.
Ich sagte ihm dann: "Sie würden also gerne mit Herrn X tauschen?"
"Das kann man wohl sagen", erwiderte er.
"Aber sehen Sie mal", fuhr ich fort, "eine solche Tauschaktion ist immer unteilbar, lieber Herr Y. Darum frage ich Sie: Würden Sie in allem - wirklich in allem! - mit Herrn X tauschen wollen? Mit seiner Ehe, mit seiner Gesundheit, mit seinem Lebensalter - er hat schon die ersten Kreislaufstörungen! -, mit seinem Termperament, seinen Überzeugungen?"
Herr Y sah mich etwas verdutzt an und meinte dann: "Mit allem würde ich vielleicht doch nicht tauschen, denn dazu kenne ich ihn zu wenig und wüsste deshalb nicht, was ich dann alles eintauschen und schließlich mit in Kauf nehmen müsste."
"Sehen Sie", so schloss ich dann die Unterredung, "Sie sind vom Neid zerfressen, aber Sie haben bei alledem nur etwas an Herrn X beneidet, Sie haben auch nur etwas an ihm gesehen. Er selbst steht für Sie im Dunkel und ist unerkannt. Wer dieser Herr X wirklich ist - mit seinen heimlichen Sorgen und Wunden, mit alledem, woran er hoffnungslos herumbohrt und woran er scheitert, ohne dass es irgend jemand sieht -, wer er wirklich ist, wer er im geheimen ist und wie ihn nur Gott allein kennt, das wissen Sie nicht, und das interessiert Sie schließlich auch gar nicht. Haben Sie einmal für Herrn X gebetet? Nur wenn Sie das in Liebe fertigbrächten, würden Sie eine Ahnung davon bekommen, dass Herr X unter den Augen Gottes noch etwas ganz anderes ist, als was Sie an ihm zu sehen belieben, wenn Sie voller Neid seine Fassade mustern."
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