Wie aus einem Baum eine Geige wird

Wenn die Geigenbauer des Mittelalters ein besonders klangvolles Instrument bauen wollten, legten sie Wert darauf, dass der Baumstamm, dessen Holz sie verarbeiten wollten, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt seines Wachstums gefällt wurde. Der Stamm wurde dann zu Brettern geschnitten, die in die entsprechenden Längen zerteilt wurden. Diese Teile wurden im Sommer der Hitze und im Winter der Kälte ausgesetzt; sie wurden gebogen, geschliffen, poliert und schließlich mit großer Sorgfalt zum vorgesehenen Instrument zusammengefügt.
Wenn der Baum hätte sprechen können, würde er sicherlich laut gefleht haben: »Bitte, lasst mich doch hier im Wald bleiben! Ich möchte, dass meine Zweige weiter wachsen und vom Wind hin- und herbewegt werden. Ich möchte blühen und Samen tragen bis ins hohe Alter wie die anderen Bäume...« Aber dann wäre niemals eine kostbare Stradivari-Geige entstanden, und nie hätte dann ihr wundervoller Klang die Zuhörer erbaut und begeistert.
Ebenso hält es Gott für nötig, seine Kinder manche rauhen und schmerzlichen Wege zu führen, damit ihr Leben die Melodie hervorbringt, die ihn am meisten verherrlicht.
(Ch. E. Cowman)

Quelle: Wie in einem Spiegel, Heinz Schäfer, Beispiel 1828
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