Wenn Gott mir dann nicht vergibt, so muss er es lassen!

In Mecklenburg lebte eine gute, alte Frau, die hatte ich lieb. Sie hatte Hunger nach dem Heiland und wollte gern Frieden haben mit Gott. Durch Monate und Jahre kam sie regelmäßig in unsere Versammlungen, und immer blieb der Blick unruhig, hungrig. Da wurde sie krank. An ihrem Krankenbett konnte ich besser mit ihr sprechen als vorher. Da fragte ich sie, woher es wohl käme, dass sie keinen Frieden habe. Sie sah mich mit traurigen Augen an und sagte: "Ich weiß es nicht." 
Im Verlauf des Gesprächs kam die Rede auf ihre Nachbarin; die hatte ihr Herzeleid gemacht. Und mit einem Male fingen diese traurigen Augen an zu flammen, und sie sagte: "Oh, diese Nachbarin, was hat die mir angetan, was für Herzeleid hat sie mir bereitet; der kann ich nie vergeben!" 
Da wusste ich´s: Ein Feind war noch da, der war nicht verjagt, der sollte nicht verjagt werden, sie wollte es nicht. Ich sprach mit ihr, ich stellte ihr alles vor, wie Gott ihr auch nicht vergeben könne, wenn sie nicht vergeben wolle. 
Da sah sie mich endlich an mit einem wirklich verzweifelten Blick und sagte: "Wenn Gott mir dann nicht vergibt, so muss er es lassen." Und so starb sie! Ich habe selten etwas erlebt, was mir so nahe gegangen ist: An der engen Pforte, mit dem hungrigen Blick - und dann verloren!

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 216
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