Wenn die Erweckung industrialisiert wird

Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es in Wuppertal eine große Erweckung. Menschen kamen von weit her, um in Elberfeld oder Barmen die großen Zeugnisse eines Durchbruchs christlichen Geistes zu erleben. Man darf ohne Übertreibung sagen, dass diese Orte, die heute Wuppertal heißen, so etwas wie ein Pilgerort frommer Menschen nicht nur aus dem deutschsprachigen, sondern auch aus dem holländischen Raum waren.
Damals hielt sich ein unbekannter holländischer und "stellungsloser" Pastor in Wuppertal auf, der allerdings durch Predigten schon hier und da die Aufmerksamkeit der Gläubigen erregte. Dabei hatte er meist nichts Schmeichelndes zu sagen. Seine Predigten wurden gerade von vielen frommen Christen als "zu hart" verurteilt.
Dieser Mann sah auch den Hochmut, das Schwärmerische in diesen Erweckungsbewegungen, die er eine "geistliche Industrialisierung" nannte. Er war der Meinung, dass die Menschen zu sehr in Gefühlen schwelgten und in ihrer Gesetzlichkeit zu sehr auf sich selbst und nicht auf die Gnade Gottes sahen.
Eines Tages kam zu diesem holländischen Prediger - sein Name war Hermann Friedrich Kohlbrügge - ein Mann zu Fuß aus dem Nassauischen, um in Elberfeld diesen holländischen Pastor zu hören. Als nun dieser Pilger aus dem Nassauischen Hermann Friedrich Kohlbrügge endlich gefunden hatte, geschah, was dieser selbst so schilderte:
"Noch mit Staub und Schweiß von dem langen Marsch her bedeckt, fragte er mich, was er tun müsse, um selig zu werden. Ich antwortete ihm, dass er wieder nach Hause gehen solle, um dort zuerst auszuruhen und dann diese Frage zu stellen an den lebendigen Gott; der würde ihn lehren, dass es nicht am Wollen und Laufen liege, sondern an Gottes Erbarmen."
Wer würde es wagen, heute so mit einem Menschen zu reden? Würde so etwas nicht als lieblos und herzlos verurteilt und darüber als unklug verworfen werden, wenn es doch darum geht, einem suchenden Menschen zu helfen? Ist er nicht gar ein potentieller Kunde der Christenheit, den es zu gewinnen gilt?
Dieser Mann, Hermann Friedrich Kohlbrügge, wusste bei all seinen Fehlern, vielleicht auch bei manch falscher Einschätzung christlicher Frömmigkeit, doch dieses: "Die Gottlosen kommen immer voran, machen sich breit mit ihrem Tun; in ihren Herzen lebt das Ich, eigene Kraft, eigene Frömmigkeit und Heiligkeit. Die Heiligen Gottes kommen nie voran; es ist ihnen alles immer aus den Händen genommen; Gott aber ist ihre Zuflucht und Stärke, ihr Licht und ihr Trost."

Quelle: Mach ein Fenster dran, Heinz Schäfer, Beispiel 668
© Alle Rechte vorbehalten