Weiter nichts getan?

Ein junger Mensch, der im Gefängnis sitzt, bittet den Gefängnisgeistlichen, er möchte jemand zu seinen Eltern senden und deren Verzeihung für ihn erwirken; denn es tue ihm von Herzen leid, sie so betrübt zu haben. Ein Stadtmissionar geht hin zu ihnen, und bei dem Vater gelingt es ihm auch. Seine Verzeihung für  den Sohn zu erhalten; aber die Mutter bleibt hart. Sie will nicht vergeben. "Er hat uns in zu große Schande gebracht", jammerte sie, "ich will ihn nicht wieder sehen." 
Der Stadtmissionar fragt, warum sie so unbarmherzig sei. Sie erwiderte: "Wie haben wir doch für den Jungen gesorgt, alles habe ich für ihn getan, was ich tun konnte. Als er noch klein war, habe ich ihm Taschengeld gegeben, so viel er begehrte. Wenn ein schönes Stück im Theater gegeben wurde, ich nahm ihn gern auf sein Bitten mit hinein!" - "Weiter haben sie nichts für ihr Kind getan?", fagte da der Stadtmissionar, "als dass sie ihm Taschengeld gaben, den Jungen mit ins Theater nahmen und ihm allen Willen ließen? Dann haben sie verkehrt für ihn gesorgt. Haben sie ihren Sohn denn nie an Gottes Wort erinnert und zu Christus hingeführt? Haben sie nie die Hände über ihm gefaltet und für ihn gebetet? Liebe Frau, wissen sie, dass sie selbst daran schuld sind, wenn ihr Sohn im Gefängnis sitzt?" Laut schluchzend brach die Frau nach dieser Anklage zusammen. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie zum Stadtmissionar: "Gehen sie zu unserem Sohn und sagen sie ihm, dass ich ihm gerne verzeihe." Am andern Tage machten sich die Eltern auf, um den Sohn zu besuchen, für die Mutter wurde der Tag der Anfang zu einem neuen Leben; denn sie erkannte nun, was sie an ihrem Kinde versäumt hatte.
Erlebnis aus der Stadtmission

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 772
© Alle Rechte vorbehalten