Was ist überhaupt Leben?
Die Menschheit hat seit mehreren Jahrtausenden die Antwort auf diese Frage zu geben versucht. Wer aber den hinterlassenen schriftlichen Niederschlag ihrer Finder-Erfahrungen prüft, stellt niedergeschlagen die Frage aufs neue. Der jüngere Seneca, ein Zeitgenosse Jesu, nennt Leben einen Kampf; Rousseau 1700 Jahre später ein Handeln. Schiller bezeichnet es als "nicht das höchste der Güter", als einen Traum; Grillparzer sagt das Gegenteil. Plato nennt es ein "Streben nach heiligeren Räumen", Goethe ein Sichwehren, eine freundliche Gewohnheit des Daseins, zugleich aber auch ein trügendes Gut, das, mit Vernunft besehen, eine böse Krankheit sei, Euripides eine nie rastende Woge des Leids, Shakespeare einen Schatten, der vorüberstreicht, ein Märchen, das ein Tor erzählt, einen Gaukler, der sich eine Stunde lang auf einer Bühne zerquält und abtobt. Jean Paul meint, das Leben sei ein langer Seufzer vor dem Ausgehen des Atems, Herder Hand in Hand mit Moses bezeichnet es als einen verschossenen Pfeil, W. v. Humboldt als eine Aufgabe. Für Lenau ist es ein dumpfes Taumeln in viehischer Geduld oder auch ein kühnes Vordringen zur Wahrheit durch Schuld! Für Rückert ist es ein Raub, für K. I. Weber ein Spaziergang vor den Pforten der Ewigkeit, für Bodenstedt ein Darlehen usw. usw.
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