Warum man mit Unansprechbaren sprechen sollte
In eine Nervenklinik wird ein gelähmter Mann eingeliefert. Von der Lähmung betroffen ist auch das Sprachzentrum. Nichts lässt darauf schließen, dass er seine Umwelt erfasst. Ärzte und Schwestern betreuen ihn. Sie pflegen ihn, ohne zu ihm zu reden. Für sie ist er nicht ansprechbar.
Der Anstaltsgeistliche verweilt bei seinem Rundgang an dem Bett des Kranken. Er kann nicht schweigend vorbeigehen. Und so sagt er langsam und deutlich: "Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen". (1. Joh. 4,9) Immer, wenn er zu diesem Bett kommt, spricht er die gleichen Worte. Wochen, Monate vergehen. Plötzlich erwacht der Kranke aus seiner Lähmung. Er bittet die erstaunte Schwester, den Pfarrer zu rufen. Als dieser an seinem Bett sitzt, beginnt der Kranke zu sprechen: "Herr Pfarrer, ich möchte Ihnen danken für das Wort, das Sie mir gesagt haben. Ich konnte darüber nachdenken. In meiner schweren Krankheit half es mir."
Innerlich bewegt, verlässt der Pfarrer die Station. Als er zu Hause ankommt, läutet das Telefon. Der Stationsarzt teilt ihm mit, dass der Patient verstorben sei. - Wenn wir an einem Kranken- oder Sterbelager stehen, so sollten wir ein Gotteswort sprechen. Es hat die Kraft, die Seele des vermeintlich Unansprechbaren zu stärken.
(Gisela Frei)
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