Wahre Größe ist oft verborgen
Im Talmud findet sich die Geschichte von einem armen Tagelöhner, der sich in die Tochter seines reichen Arbeitgebers verliebte. Sie erwiderte seine Liebe und heiratete ihn trotz des erbitterten Widerstands ihres Vaters. Da sie wusste, dass ihr Mann brennend gern studiert hätte, bestand sie darauf, dass er auf die Rabbinerschule nach Jerusalem ginge, um dort seinen Wissensdurst zu stillen. Zwölf Jahre studierte er dort, während seine Frau, von ihrer Familie enterbt, in Armut und Einsamkeit ein kümmerliches Leben fristete. Obwohl er seine Studien gern noch fortgesetzt hätte, kehrte er nach Hause zurück. Als er sich der Tür seines Hauses näherte, hörte er zufällig, wie seine Frau zu einer Nachbarin sagte, dass sie trotz des Schmerzes, von ihrem Mann getrennt leben zu müssen, doch hoffte und betete, dass er zur Akademie zurückkehren und dort seine Studien zum Abschluss bringen möchte.
Ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben, kehrte er für weitere zwölf Jahre nach Jerusalem zurück. Als er dann wieder seinem Heimatdorf zustrebte, war er inzwischen in ganz Palästina berühmt geworden und wurde als der größte und bedeutendste Gelehrte seiner Generation gefeiert. Als er den Marktplatz betrat, war er sogleich von einer großen Menschenmenge umringt. Ein Empfangskomitee hatte sich versammelt, um den großen Sohn der Stadt durch eine ehrenvolle Begrüßung würdig zu empfangen. Während sich alle um ihn drängten, erblickte er eine Frau, deren Rücken von schwerer Arbeit gebeugt und deren Gesicht von vielen Runzeln vorzeitig gealtert war. Verzweifelt bemühte sie sich, durch die drängende und schiebende Menge zu ihm zu gelangen. Plötzlich erkannte er sie. Dieses abgehärmte Weib, die von der Menge gar nicht beachtet oder zurückgestoßen wurde, war seine Frau!
"Lasst sie durch!", rief er gebieterisch. "Lasst sie durch! Nur sie hat es verdient, von euch geehrt zu werden, sie, die sich aufgeopfert hat, während ich studierte. Wäre sie nicht bereit gewesen, schwer zu arbeiten und all diese Jahre treu auf mich zu warten, zu dienen und zu dulden, wäre ich heute noch ein armer Tagelöhner und nicht der berühmte Rabbi Akiba."
Auch wir Menschen der heutigen Zeit sind mehr von spektakulären Dingen eingenommen. Wir alle neigen dazu, nur das Großartige und Augenfällige zu sehen und anzuerkennen. Wir suchen in den Zeitungen nur nach aufregenden und sensationellen Meldungen. Dabei haben wir schon fast keinen Blick mehr für das, was schlichte Durchschnittsmenschen oft leisten.
Vielleicht steht deine Arbeit für den Herrn wenig im Rampenlicht; möglicherweise betest du "nur" treu für einen Missionar und unterstützt ihn mit deinen geringen Mitteln. Sei ohne Sorge, Gott sieht es!
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