Vor Bluthunden bewahrt
Bernhard Roeder erzählt in "Der Katorgan": Damals arbeitete ich im Rudnik, südwestlich von Workuta. Wir bauten einen neuen Schacht. Zu unserer Brigade waren zwei Weruschij aus einem anderen Lager gekommen, ein älterer Mann und ein jüngerer. Die Weruschij - das sind um ihres Glaubens willen Verurteilte. Von ihnen ging ein starker Einfluss aus, so dass kein Lagerkommandant sie lange behalten wollte.
Diese beiden Männer gingen auch hier am Sonntag nicht zur Arbeit; sie ließen sich schlagen und einsperren, sie hungerten, aber sie gingen nicht. Auch sonst hielten sie sich an Gottes Gebote mit großem Ernst. Und das ärgerte den Lagerkommandanten sehr, der ein junger und rabiater Tschekist war. Er wollte die beiden loswerden.
Als die Weruschij am nächsten Sonntag wieder nicht zur Arbeit gegangen waren, erschien plötzlich der Kommandant auf dem Bauplatz und gab ihnen den Befehl, sofort hinaus in die Tundra zu gehen. Wir alle wussten, was das bedeutete, auch sie wussten es. Aber sie gingen ganz ruhig durch das Tor hinaus, der Ältere voran. Ihre Mützen hatten sie abgenommen und trugen sie in den gefalteten Händen. Sie gingen ihrem jetzt nicht mehr unbekannten Schicksal betend entgegen.
Kaum waren sie etwa einen Steinwurf weit gegangen, hetzten die Tschekisten sechs Bluthunde hinter ihnen her. Man wollte die standhaften Bekenner zerfleischen lassen. Als die beiden Männer das Schnaufen und Fletschen der Bluthunde vernahmen, drehten sie sich entsetzt um. Und wieder richtete sich ihr Blick zum Himmel. Bei dem schrecklichen Gejaule der Hunde konnten wir nicht hören, ob die Männer beteten oder sangen.
Schon hatten die Hunde die Männer erreicht, und es schien, als wollten sich alle auf sie stürzen. Aber plötzlich verharrten sie und liefen dann verwirrt um die beiden herum. Das grässliche Jaulen ging in ein unsicheres Winseln über, schließlich in ein freundliches Wimmern. Die Hunde krochen zu den Füßen der Männer hin und leckten deren Schuhe, als seien sie ihre Herren. Eine unsichtbare Gewalt hatte sie gezähmt. Kurz zuvor hatten wir die Tapferen schon verloren geglaubt. Jetzt standen wir gebannt wie vor einem Wunder. Die Tschekisten bekreuzigten sich. Der Kommandant wurde bleich und verließ eilig die Baustelle. Ich aber begriff in diesem Augenblick, dass Gott seinen Engelschutz um die treuen Bekenner gestellt hatte. Gott kann Wunder tun - das konnte ich nun glauben.
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