Vom Banditen zum Prediger
Ein alter Missionar erzählt aus seinem Leben folgendes: "Als ich noch ein ganz junger Mann war, bat ich den Herrn unmittelbar nach meiner Bekehrung, er möge mir erlauben, Missionar zu werden, und ich bat Ihn gleichzeitig mich an den schlimmsten Ort, der auf Erden gefunden werde, zu senden. Das dies mein Gebet erhört worden sei, stellte sich bald heraus, als der Herr mich nach Mexiko entsandt hatte, denn schon zwei Jahre nach meiner Ankunft wurde mein lieber Mitarbeiter Stevens in grausamster Weise ermordet.
Ein katholischer Priester, der sich über dessen Erfolg ärgerte, forderte seine Leute dazu auf, den Missionar aus dem Wege zu schaffen, eine Volksmenge, die von Soldaten angeführt wurde, eilte auf sein Haus zu und schrie fortwährend: "Tötet den Missionar!" Man fand Stevens still vor seiner Bibel sitzend vor. Einer hieb auf ihn mit seinem Säbel drein, und die Menge durchbohrte seinen Körper mit Kugeln. Der Priester ließ aus Freude über seinen Tod die Glocken läuten.
Ich war damals gerade nicht in der Stadt. Aber ein bei Stevens anwesender Christ wurde von einem berüchtigten Banditen, namens Crisanto Zebeda, einem grausamen Feinde der evangelischen Sache, herausgeschleppt. Man forderte ihn auf, den protestantischen Glauben abzuschwören; als er dieses verweigerte, schlug man auch ihn sofort nieder. Aber dieses Trauerspiel hatte eine wunderbare Folge. Crisanto verließ dann die Stadt für mehrere Wochen; und als er wiederkam, fragte er einige alte Bekannte, ob jetzt noch protestantische Ketzer dort seien. Man bejahte ihm seine Frage und fügte hinzu, dass die Zahl derselben zunehme, und dass sie gerade für den heutigen Abend eine Versammlung angesagt hätten im Hause ihres früheren Freundes, des Indianers Fernando Rivera. Dieser sei jetzt ein furchtloser Bekehrter, und er habe es sogar gewagt, Stevens Platz einzunehmen.
Da schrie der Bandit: "Ach, den Anführer haben wir getötet, da werden wir mit den andern in gleicher Weise verfahren". Er sagte, er wolle schon selber hineingehen und die Tat vollbringen, und wenn er einige aus dem Fenster herauswerfe, dann sollten sie denselben den Rest geben. Crisanto ging also hinein und setze sich auf eine Bank. Aber, statt dass der Prediger mit seiner Ansprache fortfuhr, führte er mit großer Ruhe und heiligem Ernst Schriftworte an, die auf Crisanto besonders gut passten, z.B. "Du sollst nicht töten!" und knüpfte daran einige passende Bemerkungen. Niemals hat ein Prediger mit größerem Nachdruck geredet. Ehe er halb fertig war, hörte Crisanto aufmerksam zu und hatte bereits seinen breiten Hut vom Haupte abgenommen. Am Schluss ging er auf den Indianer Fernando zu sagte zu ihm: "Du hast aus jenem großen Buch", womit er die Bibel meinte, "sehr seltsame Worte gelesen. Leihe mir doch das Buch." Daraufhin gab ihm Fernando ein Neuen Testament und versicherte ihn, dass ihm das Buch nützlich sein werde. Ehe Crisanto dann ging, sagte er zu seinem früheren Freund: "Weißt du, ich werde das Buch durchlesen, und wenn ich irgend etwas Ketzerisches darin finde, dann werde ich kommen und euch alle umbringen!"
Aber Crisanto war kein Held im Lesen; und da er sich der großen Aufgabe, die er übernommen hatte, bewusst war, ging er nach Hause und sagte zu seiner Familie, sie sollten alle zu Hause bleiben, bis er das Buch gelesen habe. Dann schloss er sich in seinem Zimmer ein. Nach Verlauf einer Woche hatte er bereits das Buch durchgelesen. Es war Sonntagmorgen, als er das Zimmer verließ, und er erzählte mir später, wie ihm alles so neu und seltsam vorgekommen sei. Er war ein neuer Mensch geworden. Das Wort Gottes hatte ihn umgestaltet. Er trat aus dem Hause heraus und war entschossen, sich offen zum protestantischen Glauben zu bekennen.
Ich erhielt ein Telegramm, dass Crisanto, der berüchtigte Bandit, bekehrt sei. Ich predigte gerade in Guadalajara, einer zwölf deutsche Meilen weit entfernten großen Stadt, und macht mich sofort mit einem bekehrten Priester, namens Fidencio Angiono, und einem anderen eingeborenen Gläubigen auf den Weg.
Als ich am anderen Tage nach Ahualuco kam, begab ich mich sofort in das Haus, in dem Stevens ermordet worden war. Schon beim Betreten des großen Hausflurs hörte ich, wie ein Mann wegen des in diesem Hause verübten Verbrechens Gott um Vergebung anflehte. Es war Crisanto, der wirklich zu einem neuen Menschen geworden war. Und welche Gnade! Gott hat diesen Mann sogar zu seinem Botschafter gemacht. Er wurde ein eifriger Prediger des Evangeliums in jenem dunkeln Lande, und man hat ihn jahrelang nicht anders als den "mexikanischen Saulus von Tarsus" genannt. Fünfzehn Jahre lang haben wir zusammengearbeitet für den Heiland, und es hat keinen mutigeren, entschlosseneren und erfolgreicheren Arbeiter um des Glaubens willen gegeben als ihn. Er starb nach treuem Dienste im vollen Vertrauen auf Jesus in den Armen seiner Frau.
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