Vom Affen, der die Geier fütterte

Der Afrikaner Daudi erzählt folgende Tierfabel: Eines Tages ließ sich ein Geier in der Nähe von Tichis Familienbaum nieder. Tichis Affenaugen verschlangen jede Bewegung des gemeinen Vogels. Niemand war zu sehen. Da warf er dem Geier schnell etwas Futter hinunter. Aber eine Stimme in ihm warnte ihn laut vor dem Geier. So schrie er ihn barsch an und trieb ihn mit vielen Gesten fort.
Am nächsten Tag kamen zwei Geier. Wieder warf er den teuflischen Vögeln Futter zu. Sie kamen näher und schrieen, dass Tichi die Ohren weh taten.
Bald kamen mehr Geier. Sie kamen bis an den Stamm heran und fraßen gierig, was der Affe ihnen heimlich an Futter zuwarf. Er beobachtete sie gebannt, obwohl ihm vor Angst die Knie schlotterten.
Über ihm kreisten die Geier, und immer mehr kamen angeflogen. Sie füllten den Baum und rückten näher und näher an Tichi heran. In seiner Furcht schlug Tichi mit einem Kantenstock um sich. Aber es nützte wenig. Die Geier, die er angelockt hatte, überwältigten ihn schnell. Mit ihren hässlichen Schnäbeln bedrängten sie ihn. Sein schriller Hilfeschrei wurde vom Krächzen der Geier verschlungen.
Bei Sonnenuntergang kehrte Nyani aus dem Dschungel zurück. Entsetzen packte ihn, als er die Gebeine sauber abgenagt unter dem Familienbaum liegen sah.
"Puh", sagt einer der Zuhörer und schüttelt sich, "ich werde schlecht träumen heute Nacht."
"Ja, ja", sagt ein anderer und fasst nach dem Stuhl, auf dem er gesessen hat. "Ich sehe förmlich den Kopf mit dem federlosen Hals auf mich einhacken."
Daudi lächelt, dann wird er aber gleich wieder ernst:
"Einige von euch haben mir gesagt, dass ihnen unsaubere Gedanken zu schaffen machen. Meine Geschichte gibt darauf eine gute Antwort. Gebt ihr diesen Gedanken neue Nahrung durch das, was ihr seht, hört oder erzählt, so kreisen sie über euch und eurem Leben.
Lasst ihr sie hungern, so fliegen sie fort. Nur wenn ihr sie füttert, kommen sie in immer größer werdenden Scharen. Viele Herzen sind angenagt von diesen teuflischen Schnäbeln."

Quelle: Hört ein Gleichnis, Heinz Schäfer, Beispiel 141
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