Versäumte Pflicht
In einem unserer Irrenhäuser befand sich unter den vielen Unglücklichen ein armer Kranker, der den ganzen Tag über nichts tat, als dass er mit angstvoller Miene und unter lebhaften Bewegungen der Arme umherging und einmal über das andere ausrief: "O hätt ich doch! O hätt ich doch!" Dieser Mann war Aufseher an einer großen Eisenbahn-Drehbrücke gewesen, die üher einem schiffbaren und vielbefahrenen Fluss führte. Eines Tages wird ihm die amtliche Meldung gemacht, dass am Nachmittag zwischen 8:00 und 9:00 Uhr zwei Extrazüge die Brücke passieren würden. Die Zeit könne nicht auf die Minute angegeben werden, aber die Brücke dürfe unter keinen Umständen nach 8:00 Uhr geöffnet werden, bis die zwei Züge die Brücke passiert hätte. Kurz vor 8:00 Uhr verlangt ein Schiff Durchfahrt, die abgelehnt wird, bis die Extrazüge vorbeigefahren sind. Der Steuermann, darüber unwillig, geht zu dem Beamten und stellt ihm vor, dass schon wenige Minuten nach 8:00 Uhr die Brücke wieder geschlossen sein könne, dass noch gar kein Signal zu sehen, und dass es noch lange sei bis 9:00 Uhr, und dass er ihm eine gute Belohnung geben wolle, wenn er das Schiff sogleich durchließe, da sie ganz besondere Eile hätten. Die richtigen, scheinbar vernünftigen Gründe und namentlich die hohe Belohnung bestachen den sonst so treuen Beamten und er sagte: "Dann aber rasch!" und begann schnell die Brücke zu öffnen. Kaum ist die Brücke ganz geöffnet, da wird vom nächsten Bahnwärterhaus das Zeichen gegeben, und wenige Augenblicke später wird der Zug schon sichtbar und braust heran. Der Aufseher sieht und hört nichts vor Schrecken und ist wie gelähmt. Auch ist die Zeit zu kurz, die Brücke wieder zurückzudrehen, und hinein in die Tiefe stürzen Lokomotive, Wagen und - Menschen. Der Mann wurde von dem Augenblick an geisteskrank und musste am anderen Tag in die Irrenanstalt gebracht werden.
Nach "Kraft und Licht".
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