Vater Karsten nimmt die Banditen auf

Banden durchzogen im Jahr 1906 raubend und mordend die Steppe in der Wolgagegend. - Die Bauern hatten sich versammelt, um die Abwehr zu beraten. Sie waren zum äußersten Widerstand entschlossen. Da erhob sich Bauer Karsten. Aus der Brusttasche holte er sein Neues Testament heraus und bedächtig las er: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." Als er nach Hause kam, empfing ihn die Kunde: Die Banditen kommen! Bauer Karsten traf seine Vorbereitungen. - Wildes Gelächter erscholl, als Vater Karsten den Banditen entgegenging und sie mit dem Gruß Jesu willkommen hieß: "Friede sei zwischen uns! Alles, was mein ist, ist euer!" 
Man umringte und durchsuchte ihn. Solch ein Narr lief ihnen nicht alle Tage in den Weg! Vorsichtigerweise knallten sie ihre Flinten ab und durchstöberten das Gehöft nach Waffen und Feinden. Als sie die Tenne betraten, bot sich ihnen ein selsamer Anblick dar. Alle verfügbaren Bänke und Tische hatte man zusammengerückt, und was die Küche nur hergeben konnte, war aufgetragen. Wie die Wölfe fielen die ausgehungerten Gesellen über die Speisen her. Als sie aber die Bodenräume in Augenschein nahmen, fanden sie alles für sich zum Nachtlager vorbereitet. Erstaunen und Verblüffung malte sich in den Mienen der Banditen. Fluch und Gelächter wechselte unter ihnen. Einige schauten verstört drein, fühlten sich wie von einem Unheimlichen erfasst und geschüttelt. Bis in die späte Nacht hinein lärmten sie in Küche und Keller, aus der Tenne und aus den Böden. Dann begab sich alles zur Ruhe. Es wurde still im Hause.
Mitten in der Nacht hörte Bauer Karsten, der im Obergemach wachte Alarmrufe, Pferde wurden aus dem Stall gezogen... Schwere Tritte dröhnten auf dem Gang zur oberen Kammer - der Banditenführer stand in der Tür bis an die Zähne bewaffnet - er rang nach Worten... "Bauer Karsten, das geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Ich kann unter diesem Dache kein Auge zumachen. Darum gehen wir..." Wenige Augenblicke später jagten die finsteren Gesellen Zum Tor hinaus, ohne etwas mitgenommen oder versehrt zu haben. - Als Bauer Karsten am Morgengrauen einen Rundgang um sein Gehöft machte, sah er in der ferne Flammen aufzüngeln. Das Nachbargehöft stand in Flammen. Dort hatten die Banditen Widerstand gefunden.
Nach einer wahren Begebenheit, die R. Riechowsti im Neuwertkalender erzählt.

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 874
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