Unverdiente Gnade als Weihnachtsgeschenk
Ein Seelsorger berichtet: Es war kurz vor Weihnachten. Ich machte in meinem weitverzweigten Pfarrbezirk Krankenbesuche und stand am Bett einer Frau aus unserer Gemeinde, die an Krebs litt und nicht lange danach heimgegangen ist. Ich erzählte ihr, dass ich in meiner Familie Kummer hätte, weil einer meiner Jungen ein Zeugnis nach Hause gebracht habe, das weit unter seinen Fähigkeiten liege. Er sei ganz faul gewesen. Ich hätte meinem Jungen gesagt: "Mit diesem Zeugnis hast du dich um die Erfüllung deines Weihnachtswunsches gebracht; denn ich kann deine Faulheit natürlich nicht mit einem besonders wertvollen Weihnachtsgeschenk belohnen. Du bekommst also das heißersehnte Fahrrad nicht."
Als ich das der Kranken erzählte, sah sie mich groß an und sagte: "Wie, Herr Pastor, Sie wollen den Jungen zu Weihnachten bestrafen? Will uns denn das Weihnachtsfest nicht gerade klar machen, dass Gott uns ganz unverdient mit seiner Güte beschenkt hat, und soll sich diese unverdiente Güte Gottes nicht auch in den Geschenken widerspiegeln, die wir unseren Kindern geben? Bestrafen Sie Ihren Jungen, wann und wie Sie meinen, es tun zu müssen, aber nicht zu Weihnachten!"
Der Weihnachtsabend kam heran. Wir hatten unserem Jungen nur eine Reihe von kleineren Gaben auf den Tisch gelegt. Unter seinen Weihnachtsteller aber hatte ich ihm einen Zettel geschoben, auf dem die Worte standen: "Unverdienterweise ein Fahrrad, weil wir das Weihnachtsgeschenk unseres himmlischen Vaters auch nicht verdient haben."
Nach der Familienfeier unter dem Lichterbaum kam die Bescherung. Jedes von den Kindern ging an seinen Tisch. Unser Bernhard - nennen wir ihn einmal so - sah sich seine Sachen an; aber nichts konnte ihn besonders fesseln. Man merkte es ihm an, dass das Hauptgeschenk fehlte. Ich sagte ihm:
"Hast du nun alles gesehen?"
"Ja."
"Ich glaube nicht, sieh dich doch einmal gründlich auf deinem Tisch um!"
Er warf noch einmal einen Blick auf seine Sachen: "Ich habe alles gesehen."
"Nun, dann hebe einmal deinen Weihnachtsteller hoch!"
Er tat es und fand den Zettel.
"Geh einen Augenblick in das Nebenzimmer und lies, was darauf steht." Ich ging langsam hinter ihm her. Ich sah, dass beim Lesen eine starke Bewegung durch ihn hindurchging. Er kam mir entgegen und sah mich strahlend an: "Vater!" Er sagte nur das eine Wort, aber in diesem Wort lag die ganze Seligkeit seines Herzens. Er fiel mir um den Hals. Sein heißer Wunsch war erfüllt. Dann holten wir gemeinsam das Fahrrad, das irgendwo versteckt worden war. - Das nächste Zeugnis war besser.
An jenem Abend habe ich gelernt, was unverdiente Gnade Gottes ist und dass wir am Weihnachtsfest das Evangelium als frohe Botschaft von der schenkenden Güte Gottes verkündigen dürfen.
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