Unbezahlte Rechnungen

Ein wohlhabender Großgrundbesitzer in Irland, der ein treuer Christ war, hat den auf seinen Gütern beschäftigten Leuten einst eine sehr originelle und eindrucksvolle Predigt gehalten. Eines Tages lässt er an den wichtigsten Plätzen seiner weiten Ländereien Bekanntmachungen aushängen, die folgenden Wortlaut haben:
"Am kommenden Montag bin ich in der Zeit von zehn bis zwölf Uhr im Büro meines Landhauses anzutreffen. In dieser Zeit bin ich bereit, alle Schulden meiner Landarbeiter zu bezahlen. Die unbezahlten Rechnungen sind mitzubringen."
Tagelang ist diese Bekanntmachung Gesprächsstoff Nummer eins unter den Landleuten. Wo man auch hinkommt, überall spricht man über dieses außergewöhnliche Angebot. Einige halten es für einen üblen Schwindel. Andere sagen: "Da ist irgendein Haken dabei." Wiederum andere sind sogar der Überzeugung, dass der Gutsbesitzer verrückt geworden ist; denn wer hat je gehört, dass ein vernünftiger Mensch solch ein Angebot macht?
Als der festgesetzte Tag anbricht, kann man aber doch zahlreiche Leute beobachten, die sich auf den Weg machen. Und als es schließlich zehn Uhr schlägt, hat sich eine große Menge vor der Tür zum Büro eingefunden. Genau auf die Minute fährt der Großgrundbesitzer mit seinem Sekretär vor, verlässt den Wagen, und ohne irgendein Wort zu verlieren, betritt er sein Büro und macht die Tür hinter sich zu. Jetzt beginnt draußen eine erregte Diskussion. "Ist nun etwas dran oder nicht? Ist die Bekanntmachung wirklich ernst gemeint, oder will er uns zum Narren halten? Vielleicht will er nur diejenigen an der Nase herumführen und demütigen, die ihm ihre Verschuldung offen darlegen." Andere wiederum weisen darauf hin, dass es unzweifelhaft seine eigenhändige Unterschrift ist, die unter der Bekanntmachung steht. Sicherlich würde er seinen eigenen Namen nicht missbrauchen und damit für alle Zukunft unglaubwürdig machen.
Aber eine ganze Stunde vergeht, und nicht einer ist eingetreten, um seine unbezahlten Rechnungen vorzuweisen. Und wenn einer dem ändern den Rat gibt, es doch einmal zu versuchen, dann bekommt er nur ärgerlich zur Antwort: "Ich bin doch nicht so verschuldet wie du; ich habe es nicht nötig. Probiere du es doch erst einmal!" So verrinnt die kostbare Zeit.
Schließlich, als es schon halb zwölf ist, kommt Arm in Arm ein altes Ehepaar herbei, das an der äußersten Grenze der Ländereien wohnt. Der alte Mann hält ein Bündel Rechnungen fest in seiner Linken. Mit zitternder Stimme fragt er den ersten besten: "Stimmt es, Nachbar, dass der Gutsherr allen denen die Schulden bezahlt, die jetzt kommen?" Und die höhnische Antwort, die er erhält, lautet: "Bis jetzt hat er noch nichts bezahlt." Und ein anderer fügt schnell hinzu: "Wir glauben, es ist alles nur ein übler Scherz."
Als die beiden alten Leutchen das hören, füllen sich ihre Augen mit Tränen, und die Frau sagt halb vor sich hin: "Und wir glaubten, es ist wahr; wir freuten uns schon, ohne Schulden sterben zu können."
Schon wollen sie sich betrübt wegwenden, als ihnen jemand zuruft: "Noch hat es ja keiner versucht. Warum geht ihr nicht hinein? Wenn er eure Rechnung bezahlt, dann kommt schnell wieder heraus, damit wir auch hineingehen!" Und die beiden nehmen den Gutsherrn beim Wort. Ein wenig furchtsam öffnen sie die Tür und betreten das Büro. Dort heißt man sie herzlich willkommen. Als Antwort auf ihre besorgte Frage, ob die Bekanntmachung denn stimme, sagt der Sekretär: "Glauben Sie denn, der Gutsherr würde Sie betrügen? Nur her mit Ihren unbezahlten Rechnungen!" Sie zeigen sie alle vor. Die Beträge werden addiert, und über die Gesamtsumme erhalten sie einen vom Gutsherrn unterzeichneten Scheck.
Überströmend vor Dankbarkeit wollen die beiden das Büro verlassen, als man ihnen sagt: "Nein, bitte, bleiben Sie noch eine Weile hier sitzen! So lange noch, bis um zwölf Uhr das Büro geschlossen wird." Sie erwidern, dass doch die vielen draußen darauf warten, dass sie herauskommen, um zu hören, dass das Angebot wahr ist. Aber der Gutsherr bleibt bei seinem strikten Nein und sagt: "Sie haben mich beim Wort genommen, und die da draußen müssen das gleiche tun, wenn ihre Schulden bezahlt werden sollen." So verrinnen die wertvollen Minuten. Die Menge draußen schaut unruhig zur Tür. Aber keiner wagt es, die Klinke herunterzudrücken und ebenfalls einzutreten. Schließlich um zwölf Uhr kommt das alte Ehepaar strahlend heraus. "Hat er Wort gehalten?" So schallt es ihnen aus dem Gedränge entgegen. "Ja, seht nur, Nachbarn, hier ist der Scheck, er ist bares Gold wert!" - "Warum seid ihr denn nicht gleich wiedergekommen und habt es uns gesagt?" So und ähnlich fragt man sie ärgerlich. "Er sagte uns, wir müssten drinnen warten, und ihr müsstet so wie wir kommen und ihn beim Wort nehmen."
Kurz darauf treten der Gutsherr und sein Sekretär aus dem Haus und eilen zu ihrem Wagen. Sie werden von der Menge umdrängt, und überall hält man ihnen unbezahlte Rechnungen entgegen. Einige rufen ihnen ungeduldig zu: "Wollen Sie denn unsere Rechnungen nicht ebenso begleichen wie die von jenen Leuten?" Aber indem er in seinen Wagen steigt, sagt der Gutsherr: "Jetzt ist es zu spät. Ihr hattet reichlich Zeit und Gelegenheit. Ich hätte alle eure Schulden bezahlt, aber ihr glaubtet es ja nicht." Dann benutzt er die Gelegenheit und vergleicht die Ereignisse an diesem Morgen mit der Art und Weise, wie viele Menschen Gottes Angebot verachten. Jenes Angebot nämlich, ihnen alle Sünden zu vergeben, wenn sie zu Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes, ihre Zuflucht nehmen. Zu Jesus, dem Herrn und Heiland, der allein Sündenschulden vor Gott bezahlen kann und will. Und er warnt seine Leute mit feierlichem Ernst davor, nicht so töricht zu sein, ein so großes Angebot Gottes gering zu achten und die schnell vorübergehende Zeit zu versäumen.
Ich denke, alle seine Leute haben diese eindrucksvolle Predigt verstanden. Aber das Wort des Gutsherrn, auch wenn er ein ehrlicher Mann war, blieb doch immer Menschenwort. Wie viel ernster aber ist es, wenn du Gott nicht beim Wort nimmst und seine Warnung und sein Angebot in den Wind schlägst!

Quelle: Mach ein Fenster dran, Heinz Schäfer, Beispiel 677
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