Spielsüchtige Eltern

Auf dem evangelischen Friedhof in Ems steht über einem Kindergrab ein Kreuz, damit hat es folgende Bewandtnis:

In Ems gab es früher eine Spielhölle. Da saß ein Russe, der schon in Wiesbaden viel Geld verloren hatte, mit seiner Frau am Spieltisch und setzte die geborgten Goldstücke, eins nach dem andern, und sah sie in die nimmersatte Kasse des Bankhalters rollen, eins nach dem andern. Wusste auch, dass sein Kind in dem Gasthof krank lag und ohne Pflege von Mutter und Vater an der Bräune stöhnte und sich geängstigt hin- und herwand. Der erste Kellner kommt und sagt dem Russen ins Ohr: "Die Kinderfrau lässt Ihnen sagen, Ihr Kind stirbt." "Gleich, ich komme gleich", antwortet der Spieler, der eben mit ver­störter Miene seine Goldstücke dahinschwinden sieht. Der zweite Kellner kommt und sagt der Russin ins Ohr: "Die Kinderfrau lässt Ihnen sagen, Ihr Kind liegt im Sterben." "Gleich, ich komme gleich", sagte die Spielratte von Mutter.

Genug - noch zehn Minuten und das letzte Goldstück ist verspielt, und im Gasthof ist am Erstickungs­tod das arme Kind verschieden. Auf dem Kirchhof schläft der kleine Fremdling, vom Kreuz herab leuchtet Psalm 27,10: "Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf!"

Quelle: Neues und Altes
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