Sollte das Sterben sein?
Die Frau des evangelischen Predigers Peter van der Velden zu Leckerland in Holland musste eines Tages in ihrem Innern immer wieder an die Worte des Heilandes denken: "Stehet auf und lasset uns von hinnen gehen!" Sie suchte darauf den Herrn im Gebet im stillen Kämmerlein, um es zu verstehen, falls der Herr ihr mit diesem Worte etwas sagen wollte, aber nein, sie erhielt keine Aufklärung; zwar wurde sie innerlich ganz ruhig, doch wollten diese Worte weder am gleichen Tage noch in derselben Woche aus ihrem Innern weichen.
Der Sonntag kam und ihr Mann sagte ihr auf dem Wege zur Kirche: "Ich weiß gar nicht, was der Herr mit mir vorhat; ich weiß noch nicht, über welches Wort ich heute predigen soll." Während des Gebets, das in seltener Innigkeit von den Lippen ihres Mannes floss, kam ihr plötzlich wieder der Gedanke an das Wort: "Stehet auf und lasset uns von hinnen gehen!", und sie dachte weiter an die Möglichkeit, dass diese Worte den Heimgang ihres Mannes bedeuten könnten. Dies wurde ihr zur unumstößlichen Gewissheit, als ihr Mann als Predigttext das Wort Joh. 14,16 vorlas: "Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster senden." Er predigte so bewegt und gerührt, dass sogar viele seiner Gemeindemitglieder den Eindruck gewannen, als ob er Abschied von seiner Gemeinde nehme und als er gar nachmittags über den Schluss desselben Verses redete, nämlich über die Worte: "dass er bei euch bleibe ewiglich," und seine Gemeinde ermahnte, mit festem Herzen am Herrn zu bleiben, auch wenn er nicht mehr bei ihnen sein werde, da kamen die Leute nachher sogar in sein Haus und fragten ihn, ob er einen Ruf anderswohin angenommen habe. Er aber wies es weit von sich, dass er von seiner Gemeinde scheiden wolle und als seine Frau ihm ihren Eindruck mitteilte, da schalt er sie töricht. So fern lag ihm der Gedanke ans Sterben.
Am folgenden Tage jedoch kam er von einer Wagenfahrt, die er in Amtsgeschäften gemacht hatte, etwas erkältet nach Hause und in den folgenden Tagen fühlte er sich auch nicht recht wohl, so dass die Frau für einen Vertreter ihres Mannes am Sonntag sorgte. Jedes Wort aber über die Möglichkeit seines Heimganges wies er weit von sich.
Am folgenden Sonntagmorgen saß seine Frau weinend an seinem Bette. Da sagte er: "Ich habe doch nicht gedacht, dass man das Singen in der Kirche hier so deutlich hören kann, wie ich es jetzt tue!" Seine Frau aber erinnerte ihn daran, dass es ja noch gar nicht Kirchzeit sei. "Nicht?" sagte er, "so höre doch nur, es wird ja noch fortwährend gesungen und es klingt viel schöner als in der Kirche." Die Frau aber sagte: "Ich glaube, der Herr würdigt dich, einen Vorgeschmack zu haben von dem himmlischen Halleluja, das du so bald vor Seinem Thron singen sollst!" Da fragte er mit großer Verwunderung: "Sollte das Sterben sein? Sollte die Scheidung von Leib und Seele so leicht gehen? Ich möchte nun doch fast glauben, dass der Herr mich hinwegnehmen will; lass die Kinder kommen." Diese wurden gerufen und er gab einem jeglichen von ihnen einen besonderen Segen. Darauf tröstete er seine Frau und dann schlief er nach einer Weile ohne jeglichen Todeskampf um ein Uhr nachmittags sanft ein.
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