Soll ich krähen, Petrus?

Viktor Mann, der Bruder der im Dritten Reich zu Staatsfeinden erklärten Schriftsteller Heinrich Mann (1871-1950) und Thomas Mann (1875-1955), hält sich während der letzten Monate der NS-Herrschaft auf dem Lande auf. Dort begegnet er in einem Gasthof einer Frau. Er schreibt: »Das Bösesein stand dieser Frau in den Augen, und dann sprang es ihr aus dem Mund. Ohne Überleitung fragten die schmalen Lippen: 'Sind Sie eigentlich verwandt mit den Schriftstellern Ihres Namens?' In diesen Sekunden war mir klar, was kommen würde, wenn ich diese böse Frage bejahte. Noch nie hatte ich geleugnet, der Bruder zu sein. Freilich war das bisher kein Heldenstück gewesen. Jetzt war es anders: Ich konnte entscheiden! Nein, ich würde der Dame zu keiner Sensation verhelfen: 'Wie meinten Sie? Mit den Schriftstellern verwandt? Nicht, dass ich wüsste.' Da wurde kurz und hart an das Fenster geklopft. Als ich aufblickte, sah ich vor den Scheiben einen Halbkreis von Hennen. Vorne stand der Hahn. Er hatte mit seinem Schnabel an das Glas gepocht. Er schaute mit stechendfeurigen Augen in das Zimmer. Mir war, als fragte mich sein Blick: 'Soll ich krähen, Petrus?' Mir war elend zumute.«

Quelle: Wie in einem Spiegel, Heinz Schäfer, Beispiel 1832
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