Sich verwundbar machen, um den Mann zu gewinnen

Ein Seelsorger erzählt: "Auf einer Tagung habe ich einmal ein Seminar über das Thema 'Zerbrochene Beziehungen' geleitet. Während der letzten halben Stunde ergab sich ein fruchtbares Gespräch, denn es durften Fragen gestellt werden, die dann beantwortet wurden. Zuletzt meldete sich eine Frau zu Wort. Sie hatte folgende Frage auf dem Herzen: 'Kann Gott auch eine zerbrochene Beziehung heilen, die eigentlich gar nicht zerbrochen ist - die ganz einfach nicht existiert?'
Als wir um eine nähere Erklärung baten, erzählte sie uns: 'Mein Mann und ich, wir beide streiten uns nie und sind auch niemals böse miteinander. Wir haben überhaupt keinen Kontakt miteinander. Er kommt abends von der Arbeit nach Hause, isst, sieht fern, liest die Zeitung und geht dann zu Bett. Später, wenn ich die Zeitung gelesen und ferngesehen habe, gehe ich auch zu Bett.'
'Ist das jeden Abend so?' fragte ich sie.
'Jeden Abend, schon seit Jahren', antwortete sie.
'Sind Sie beide Christen?'
'Nein. Ich bin Christin, mein Mann ist es nicht.'
'Lieben Sie ihn?'
'Ja', sagte sie, und Tränen traten ihr in die Augen. 'Ich liebe ihn sehr.'
'Glauben Sie, dass er Sie liebt?'
'Nein, das glaube ich nicht, denn sonst würde er ja nicht so kalt und gleichgültig sein.'
'Sehen Sie', sagte ich, 'als gläubige Christin müssen Sie diejenige sein, die sich verwundbar macht. Sie müssen die wirklichen Gefühle Ihres Gatten herausfinden. Er muss Sie doch lieben, sonst würde er doch nicht jeden Abend zu diesem grämlichen langweiligen, immer gleichen 'Familienleben' nach Hause kommen. Dann würde er doch lieber kegeln gehen oder trinken oder irgend etwas anderes Amüsanteres unternehmen. Vielleicht hofft er noch darauf, dass eines Tages etwas geschieht, was aufs neue die Liebe in Ihnen entfacht, die einmal in Ihnen war, als Sie geheiratet haben.'
'Aber was kann ich denn nur tun?', fragte die Frau.
'Was tun Sie denn jetzt, um Ihr Verhältnis zu Ihrem Mann zu verändern?'
'Ich lade ihn immer in unseren Gebetskreis ein', erwiderte sie, 'und ich lege ihm christliche Schriften hin in der Hoffnung, dass er sie liest.'
'Hilft das etwas?'
'Nein', gab sie zu.
'Warum versuchen Sie dann nicht mal eine Radikalkur, die Sie allerdings etwas mehr Anstrengung kostet? Das will uns Christi Kreuz ja gerade lehren. Sie müssen für Ihren Gatten verwundbar sein, so wie Christus sich am Kreuz für uns verwunden ließ.'
'Bitte, nennen Sie mir ein Beispiel!'
Ich riet ihr wirklich zu einem Radikalmittel: 'Wenn er eines Abends wieder vor dem Fernseher sitzt, dann sollten Sie mal Ihr duftigstes Spitzennachthemd anziehen, Ihr bestes Parfüm nehmen, sich auf seinen Schoß setzen, ihm zärtlich das Haar zerzausen und ihm sagen, dass Sie ihn genauso lieben wie immer. Was würde er wohl darauf antworten?'
'Das möchte ich lieber nicht zu erraten versuchen', kicherte sie.
'Was wäre denn das Schlimmste, das geschehen könnte, falls Sie diesen Schritt im Glauben tun würden?'
Ohne einen Augenblick zu zögern, erwiderte sie: 'Er könnte mich auslachen.'
'Das ist wahr. Und würde Ihnen das weh tun?'
'Oh ja. Es würde mich mehr verletzen als sonst etwas.'
'Ja, sehen Sie, so ist das aber mit dem Glauben an Christus, wenn man ihn in der Ehe auslebt. Wenn Sie Traktate und andere Schriften herumliegen lassen und Ihren Gatten zu Ihrem Gebetskreis einladen, fühlen Sie sich dabei überlegen und unverwundbar. Aber wenn Sie meinem Rat folgen, geben Sie Ihrem Mann die Möglichkeit, auf Ihr Verhalten liebevoll oder feindselig zu reagieren. Ist Ihr Glaube an Christus stark genug, ein solches Risiko einzugehen?'
Ein paar Tage später - die Tagung war inzwischen vorüber - erhielt ich folgenden Brief:
'Ich habe getan, was Sie mir vorgeschlagen haben. Raten Sie mal, was geschehen ist! Er hat nicht gelacht.'
Das war der Anfang einer neuen Beziehung zwischen den beiden. Es hätte natürlich auch anders ausgehen können.

Quelle: Mach ein Fenster dran, Heinz Schäfer, Beispiel 924
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