Schuldig durch Schweigen
"Auf einer Seereise ging ich einst", so erzählt Hermann Hesse," während das Schiff im Hafen lag und Kohlen faßte, in Begleitung eines Herrn an Land. Er kannte sich in jener exotischen Hafenstadt schon aus und machte den Führer; und es gelang ihm, mir in zwei oder drei Stunden alles zu zeigen, was an Tingeltangeln, Tanzlokalen, Animierkneipen und anderen üblen Vergnügungsorten dort zu finden war. Ich aber, der ich vom Betreten der ersten Bude einen heftigen Ekel fühlte und nicht nur diese mir unsympathischen Orte, sondern namentlich den Mann, seine Reden, sein Zwinkern und Lachen im höchsten Grade als hässlich, widerlich und unanständig empfand, - ich ging verbissen und ärgerlich nebenher und fand einfach nicht den Mut, mich loszumachen, dem andern laut oder schweigend meine Missbilligung kundzutun und fortzugehen. Nein, das ging einfach nicht; seine fette, lustige, naiv robuste Natur hatte meine schwächere überwältigt. Ich folgte ihm, wie meinem Henker, und während ich mich über ihn und mich auf das wildeste ärgerte, hörte ich schweigend seine Reden mit an.
Mich beleidigt nicht, dass es in der Welt Hässlichkeit und Schweinerei gibt, - ich kann daran vorbeisehen. Aber dass ich einmal diese Seite der Welt, die ich verachte und ablehne, ruhig habe gelten lassen, so dass es scheinen konnte, ich billige diese Dinge und billige meinen Begleiter, der sie suchte und liebte, das ist als Stachel in mir geblieben. Ich schreibe das nicht, um mich nachträglich zu rechtfertigen: ich schreibe es, um eine Schuld zu bekennen."
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