Samenkörner für die Zukunft
Der Universitätsprofessor und Bergrat Karl Georg von Raumer (1783-1865), einer der Väter des deutschen Turnwesens und in den Freiheitskriegen Adjutant Gneisenaus, schrieb in seiner Geschichte der Pädagogik über das Auswendiglernen von Bibelsprüchen und geistlichen Liedern: Es ist eine ebenso gütige als weise Einrichtung unseres treuen Gottes, dass er uns im Gedächtnis eine geistige Vorratskammer verlieh, in welcher wir Samenkörner für die Zukunft aufbewahren können. Der Unkundige hält diese Samenkörner für tot, nicht so der, welcher weiß, dass sie zur rechten Zeit plötzlich ihre energische Lebenskraft keimend und treibend entwickeln. Der Knabe lernt den Spruch: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen. Er wusste in seinen jungen Jahren von keiner Not, so verstand er auch den Spruch nicht. Wenn aber im Mannesalter eine Zeit unabsehbarer, überwältigender Not hereinbricht, da tritt ihm plötzlich wie ein hilfreicher Engel des Friedens und Trostes jener Spruch vor die Seele, er versteht ihn, ja mehr als das. - Lernen Kinder den Vers auswendig: Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir - so verstehen sie ihn nicht, der Todesgedanke liegt ihnen fern. Aber Greise beten in der Todesstunde denselben Vers, welchen sie als Kinder gelernt; da verstehen sie ihn und mehr als das.
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