Sagen Sie mir nichts von Jesus!

Ein vornehmer sächsischer Staatsmann wurde einmal ernstlich krank. Da schickte er zum Hofprediger und ließ um seinen Besuch bitten. Als dieser zu ihm kam, redete er ihn folgendermaßen an: "Ich bin sehr krank und fürchte, ich könnte sterben; ich bitte Sie daher, mir etwas Erbauliches zu sagen; eins aber muss ich mir von vorne herein ausbitten: dass Sie mir nichts von Jesus sagen, denn davon will ich nichts hören." 
Der Prediger antwortete ganz ruhig: "Es ist mit lieb, dass Sie mir das gleich gesagt haben, denn das wäre allerdings das erste gewesen, wovon ich zu Ihnen geredet haben würde. Indes gibt es ja sonst noch viel Erbauliches, wovon wir uns unterhalten können. Darf ich von Gott mit Ihnen reden?" 
Der hohe Patient antwortete: "O, gewiss, davon will ich gerne hören, denn vor Gott hatte ich immer viel Hochachtung von Jugend auf." 
Da sprach denn der Prediger von der Liebe Gottes zu den Menschen, was dem Kranken so angenehm war, dass er ihn beim Abschied bat, doch recht bald wiederzukommen. 
Als der Prediger wiederkam, sagte der Kranke: "Nun, was werden Sie mir heute Schönes erzählen? Ich habe mich schon lange nach Ihrem Besuch gesehnt." 
Da sprach denn der Prediger von Gottes Allmacht und Weisheit. Das gefiel dem Kranken wieder sehr gut. Das nächste Mal redete der Geistliche von Gottes Allwissenheit. Das war schon ernsthafter, aber dem Kranken doch noch angenehm. Beim vierten Besuch sprach der Mann Gottes über Gottes Heiligkeit, welch ein reines, heiliges Wesen Gott sei und umgeben mit nichts anderem als reinen und heiligen Wesen. Die fünfte Unterredung handelte von Gottes Gerechtigkeit. Da fing aber der Kranke bald an: "Herr Hofprediger, jetzt kann ich es nicht mehr aushalten, mir wird angst und bange; wenn Gott so heilig und gerecht ist, wie Sie sagen, so bin ich verloren." 
Nun ging aber der Prediger fort und kam den folgenden Tag nicht wieder, um das Sündengefühl des Kranken tiefer gehen zu lassen. Aber der Patient ließ den Hofprediger rufen und sagte: "Ich weiß mich vor Angst nicht mehr zu fassen; bitte, sagen Sie mir doch wieder etwas Tröstlicheres; es ist mir ja, als wäre ich schon in der Hölle oder die Hölle in mir; wissen Sie denn nichts, womit ich wieder Beruhigung finden könnte?" 
Der Prediger sagte: "Gar nichts weiß ich sonst mehr für Sie, als dass Gott zwar gnädig, aber auch allwissend heilig und gerecht ist und deshalb nicht anders kann, als das Böse bestrafen. Wohl wüsste ich noch viel Schöneres und Treffliches, aber davon wollen Sie ja nichts hören; darum müssen Sie in diesem unseligen Zustand dahinsterben und drüben Ihr Schicksal erwarten, worüber ich Sie von Herzen bedauern muss." 
"Ach", jammerte der Kranke, "was haben Sie denn Tröstliches? Sagen Sie mir's doch, kann ich noch gerettet werden?" 
"O ja, aber nur, wenn ich Ihnen den Namen nennen darf, von dem Sie gar nichts wissen wollten." 
"Nun, so sagen Sie mir in Gottes Namen, was Sie wollen, wenn ich nur noch aus meiner Verdammnis gerettet werden kann."
Nun verkündigte der Prediger mit Kraft und Freudigkeit dem Kranken die frohe Botschaft, dass der bisher von ihm so verachtete Jesus sein Herr und Gott, sein Schöpfer und Heiland sei, zu dem er sich mit allen seinen Sünden wenden und um Gnade bitten solle und dürfe. Für solche Sünder sei Er gestorben und habe am Kreuz Sein Blut vergossen zu einem Lösegeld für ihn und für die ganze Welt. - Nun war der Kranke froh, von einem solchen Jesus, der die Sünder annimmt, zu hören. Er nahm dann auch seine Zuflucht zu Ihm und erfuhr, dass Jesus der Weg und die Wahrheit und das Leben sei, und dass kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darinnen wir sollen selig werden, so dass er als ein begnadigter Sünder im Glauben an Jesus freudig und getrost sterben konnte.

Quelle: Der ewig reiche Gott, Dietrich Witt, Beispiel 1292
© Alle Rechte vorbehalten