Pastor Kemner und der verlorene Knopf

H. Kemner erzählt: Die Glocken läuten. Eben ziehe ich mir den Talar an. Agende und Bibel liegen bereit. Plötzlich merke ich, dass der Kragen nicht in Ordnung ist. Wie ist so etwas nur möglich  -  gerade in diesem Augenblick bricht der Kragenknopf. Ungeduldig rufe ich meine Frau: "Bitte schnell einen Kragenknopf!" Eilig durchsucht sie alle Schubladen, doch nirgends ist ein Kragenknopf zu finden. Ich kann doch unmöglich so in die Kirche gehen! Man kann auch jetzt nicht mehr zum Kaufmann schicken. Immer noch kramt meine Frau in den Schubladen. Die Glocken hören auf zu läuten.
Meine Sammlung ist dahin. Die Unruhe hat mich gepackt. Und im Zorn rufe ich: "So etwas darf doch nicht vorkommen!" Da endlich ist der Knopf gefunden.
Nicht ohne Erregung betrete ich die Sakristei. Die Gemeinde singt bereits:" Morgenglanz der Ewigkeit." Ich kann nicht mitsingen  -  unmöglich kann ich so die Kanzel besteigen. Die Gemeinde singt: "Deiner Güte Morgentau fall auf unser matt Gewissen. Lass die dürre Lebensau lauter süßen Trost genießen. Und erquick uns, deine Schar, immerdar." Ein Seufzer steigt aus meinem Herzen, das ist genau meine Lage. Ich schaue ins Gesangbuch:
Wie viel Verse sind es noch? Soll ich so zum Altar gehen? So die Liturgie halten? Wie sagt doch Paulus: "Und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle."
Mir ist klar, dass ich die Sache sogleich in Ordnung bringen muss. Jeder Aufschub hieße, dem Feind nachgeben. So öffne ich die Tür zum Kirchenstuhl meiner Frau und gebe ihr einen heimlichen Wink. Sie kommt sofort. Als ich ihr die Hand entgegenstrecke, liest sie in meinen Augen die unausgesprochene Bitte. Die nun folgende Liturgie wurde zu einer Anbetung aus gereinigtem Herzen.
Christen sind keine vollkommenen Leute. Evangelische Heiligung ist keine Disziplin, sie ist immer geschenkt und wird vollkommen nur in Hingabe und Demut. Gerade unser engster Familienkreis ist ein steter Prüfstein dafür, ob unser Zeugnis echt bleibt.

Quelle: Hört ein Gleichnis, Heinz Schäfer, Beispiel 278
© Alle Rechte vorbehalten