Ohne Wiedergutmachung keine Vergebung
Professor Walter erzählt in seinen "Lebenserinnerungen aus 50 Jahren" von einem Aufenthalt bei Samuel Zeller in Männedorf. Die Erklärung des Wortes Matth. 18,34 erschütterte ihn einmal besonders. Zeller führte etwa aus: Jede Sünde gegen Gott bringt uns schon auf Erden in einen Kerker, aus dem wir nicht eher frei werden, als bis wir alles bezahlt, wiedergutgemacht haben. Als Beispiel führte er einen Lehrer in Brasilien an, der ohne Kündigung seine Stelle verlassen hatte, weil er den Pastor ärgern und in seiner Wirksamkeit stören wollte. Der Lehrer wollte nach Europa fahren, aber durch besondere Umstände konnte er nicht abfahren, darum erreichte ihn noch ein Brief des Pastors, in dem er ihn beschwor, zurückzukehren und ihm möglichste Erfüllung seiner Wünsche versprach. Aber der Kontaktbrüchige blieb hart und fuhr ab. Je weiter sich das Schiff von Brasilien entfernte, desto gestörter wurde der Verstand des Lehrers. Als er in Frankreich ankam, musste er in eine Irrenanstalt gebracht werden. Berühmte Psychiater bemühten sich um ihn. Zuletzt kam er nach Männedorf. Wie ein Tier war er geworden. Alles Beten und Händeauflegen half nichts. Einmal predigte Zeller über das Wort Matth. 18,34. Da richtete der Unglückliche seinen Kopf ein wenig auf. Nach der Predigt kam er zu Zeller und sagte:
"Ich will bezahlen."
"Alles bezahlen?"
"Ja, alles."
"Gut, dann schreiben Sie dem Pfarrer nach Brasilien: Ich habe gesündigt im Himmel und vor dir, ich bitte um Christi willen um Verzeihung und bin bereit, auf der Stelle nach Brasilien zurückzukehren und ohne Gehalt nur für das trockene Brot Dienst zu tun." Ein Brief dieses Inhalts ging ab und der Mann war für einige Wochen wieder völlig verschlossen. Eines Tages kam der Lehrer zu Zeller als ein neuer Mensch und sagte: "Jetzt weiß ich, dass mir Gott vergeben hat." Nach einiger Zeit kam die Antwort aus Brasilien: "Soeben erhalte ich Ihren Brief und eile, Ihnen mitzuteilen, dass ich alles Vorgefallene vergebe und vergesse..." Der Brief trug das Datum jenes Tages, da der Lehrer wieder normal wurde. Er war aus seinem Kerker entlassen, weil er bezahlt hatte. - Bewegt von dieser Geschichte, kam der junge Walter nach St. Moritz in seine Pension zurück, wo er Pfarrer Christian Tischhauser traf. Er erzählte ihm sein Erlebnis. Als er geendet hatte, sagte der Pfarrer lächelnd: "Ich kann Ihnen alles Gehörte bestätigen, denn der Pfarrer in der Geschichte bin ich."
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