Nur eine Handbreit entfernt und doch unerreichbar

Im Dritten Reich liebten die Nazis keine Jugendpfarrer wie mich, und so wurde ich in schreckliche Gefängnisse gesperrt. Eine Haft brachte ich in einem besonders scheußlichen Ge­fängnis zu. Der ganze Bau war aus Beton, und die Wände waren so dünn, dass man hörte, wenn unten einer hustete oder wenn im dritten Stock einer aus dem Bett fiel. Ich saß in einem ganz schmalen Loch, als ich hörte, dass in die Zelle nebenan ein Neuer eingeliefert wurde, auch ein Gefangener der Gehei­men Staatspolizei. Der Mann muss grauenvoll verzweifelt ge­wesen sein. Durch die dünne Wand hindurch hörte ich ihn nachts weinen. Ich hörte, wie er sich auf seiner Pritsche her­umwälzte. Oft vernahm ich sein unterdrücktes Schluchzen. Es ist schrecklich, wenn ein Mann weint. Tagsüber durften wir nicht auf der Pritsche liegen. Dann merkte ich, wie er auf und ab ging, zweieinhalb Schritte hin, zweieinhalb Schritte her - wie ein Tier im Käfig lief er in seiner engen Zelle auf und ab. Manchmal hörte ich, wie er stöhnte. Und ich hatte den Frieden Gottes in meiner Zelle! Wissen Sie: Jesus war in meine Zelle gekommen! Und wenn ich hörte, wie der Mann nebenan ver­zweifelte, dachte ich daran: »Ich muss zu ihm! Ich muss mit ihm sprechen! Schließlich bin ich doch Seelsorger!« Dann habe ich nach dem Wärter geschellt. Der kam. Ich sagte: »Hören Sie! Nebenan ist ein Mann, der verzweifelt, der kommt um in seiner Verzweiflung! Ich bin Pfarrer, lassen Sie mich zu ihm. Ich möchte mal mit ihm reden!« Da antwortet er: »Ich will fragen.« Nach einer Stunde kam er zurück: »Ist nicht geneh­migt! Abgelehnt!« So habe ich den Mann von nebenan weiter­hin nie gesehen. Und er war doch nur eine Handbreit neben mir. Ich weiß nicht, wie er aussah, ob er alt oder jung war. Ich spürte nur seine entsetzliche Verzweiflung. Können Sie sich das vorstellen? Und da habe ich manchmal vor der Wand gestanden und gedacht: »Wenn ich doch jetzt diese Wand einreißen und zu dem Mann hinübergehen könnte!« Aber ich konnte diese Wand nicht einschlagen, hätte ich auch noch so sehr dagegen gehämmert.
Und nun passen Sie gut auf! In solch einer Situation, wie ich damals war, ist der lebendige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden. Wir sind eingeschlossen in die sichtbare dreidi­mensionale Welt. Gott ist ganz nahe. Die Bibel sagt: »Von allen Seiten umgibst du mich.« Gott ist eine Handbreit neben uns. Aber zwischen ihm und uns ist die Mauer einer anderen Dimension. Und nun dringt zum Ohr Gottes all der Jammer dieser Welt. Er hört das Fluchen der Verbitterten, das Weinen der einsamen Herzen, den Schmerz derer, die an Gräbern stehen, das Seufzen derer, die unter Ungerechtigkeit leiden. All das dringt zum Herzen Gottes, sowie die Verzweiflung des Mannes in der Zelle nebenan zu mir drang. Und nun denken Sie: Gott konnte das tun, was ich nicht konnte: Gott hat eines Tages die Mauer, die zwischen ihm und uns ist, eingeschlagen und ist hereingekommen in unsere sichtbare Welt - in seinem Sohne Jesus! Verstehen Sie: In Jesus, dem Sohne Gottes, kam Gott zu uns, in den ganzen Schmutz und Jammer dieser Welt! Und seitdem ich Jesus kennen gelernt habe, weiß ich, dass Gott lebt.
W.Busch,"Jesus unser Schicksal"

Quelle: Unbekannt
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