Nichts getan - als die Mode angegeben!
Ein auf Reisen befindlicher Herr aus New York traf ein junges Mädchen von großer Schönheit und großem Reichtum und heiratete sie. Sie kehrten nach New York zurück und stürzten sich von einem Vergnügen ins andere. Die junge Frau war ein junges, nachdenkliches Mädchen gewesen, das sich bestrebt hatte, allen Leidenden und Bedürftigen zu helfen und Gott in Treue zu dienen; aber als Frau L. war sie umgeben von vielen Schmeichlern. Ihre Schönheit und ihre Kleider wurden von den Modezeitungen besprochen; was sie sagte, ging von Mund zu Mund; ihre Equipage war eine der schönsten.
Nach Verlauf nur einiger Monate war sie von der Bewunderung, die man ihr allerseits zollte, wie berauscht. Sie fuhr mit ihrem Gatten von New York nach New-Port, von London nach Paris und beide verfolgten kein anderes Ziel, als sich zu vergnügen. Sie machten Toilette, tanzten, kokettierten, eilten von der Tafel zur Oper und vom Ball nach Hause um Besuche zu empfangen. Junge Mädchen blickten auf Frau L. mit Bewunderung, ja mit Neid, denn sie war die anerkannte Führerin in der Gesellschaft.
Etwa zwanzig Jahre später befand sie sich allein auf dem Heimwege von Kaliforniern, als der Zug in dem sie reiste, verunglückte und sie sich eine schwere innere Verletzung zuzog. Man trug sie in ein Stationshaus an der Bahnlinie und dort starb sie unter den Händen eines Arztes aus dem benachbarten Dorfe. Der Arzt, der sie behandelte, erzählt, dies sei eine der schmerzlichsten Erfahrungen seines Lebens gewesen und fährt fort: "Ich musste ihr sagen, dass sie nur noch eine Stunde zu leben habe. Sie hatte keine Schmerzen; ihre einzige Empfindung von ihrer schweren Verletzung war, dass sie sich nicht bewegen konnte. So war es kein Wunder, dass sie mir nicht glauben wollte. - 'Ich muss nach Hause,' sagte sie gebieterisch, 'nach New York!' - 'Das ist unmöglich, meine Dame; wenn man Sie von der Stelle bewegt, wird dies nur noch mehr Ihr Leben verkürzen.' Sie lag am Boden. Die Weichensteller hatten ihre Mäntel aufgerollt, um ihr daraus ein Kissen zu machen. Sie schaute um sich in dem kleinen, schmutzigen Raum, mit dem von Tabak beschmutzten Ofen und sagte: 'Ich habe nur noch eine Stunde, sagen Sie mir? Nicht mehr? Und dies ist alles, was mir von der Welt geblieben ist! Es ist nicht viel, Herr Doktor', sagte sie mit bitterem Lächeln.
Die Männer gingen hinaus und ich schloss die Tür, damit sie nicht gestört würde. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und lag eine Zeitlang stille da. Dann wandte sie sich fast rasend an mich und sagte:
'Was hätte ich doch alles mit meinem Geld und meiner Zeit tun können! Gott wollte, dass ich den Armen und Kranken helfen sollte; das ist nun zu spät. Ich habe nur noch eine Stunde!' Sie zuckte vor Aufregung. - 'Ach, Herr Doktor, wissen Sie, ich habe nichts getan - nichts als die Mode angegeben! Die Mode! Nun habe ich nur noch eine Stunde! Eine Stunde!' - Aber sie hatte nicht die einmal mehr, denn die Aufregung war ihr zu viel. Nach einigen Augenblicken lag sie mir tot zu Füßen."
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