Nicht männlich? Aber christlich!

Zu einem christlichen Advokaten (Rechtsanwalt) kam ein Freund und erzählte ihm, in welcher Weise er von einem Nachbar zu leiden habe. Er wisse nicht, ob es geziemender sei, ihn zu einem Duell herauszufordern, ihn gerichtlich zu verklagen, oder sein Verhalten in allen Zeitungen zu publizieren. Der Advokat, welcher besagten Mann kannte, versicherte dem Aufgeregten, dass gewiss auch mildernde Umstände in Betracht zu ziehen seien und er glaube, der beste Weg ihn zu bestrafen sei, wenn er ihn vergebe. "Vergeben!" rief der Erregte, "das wäre ja gar nicht männlich!" "Aber es wäre christlich!" sagte der Advokat. Der Freund ging unentschlossen fort. Auf seinem Heimgange musste er eine Brücke passieren; der Sturm hatte einige Planken derselben gelöst, was er in der Dunkelheit nicht bemerkte, er stürzte hinab. Nach einigen Minuten des Kampfes mit den Wellen gelang es ihm, sich an einem überhängenden Baum festzuhalten und herauszuklettern. In diesen wenigen Minuten, wo er dachte, bald vor dem Thron Gottes erscheinen zu müssen, sah er ein, dass der Rat des Advokaten der richtige war, und er ging am nächsten Tage zu seinem Feind und sagte ihm, dass er ihm vergeben wolle. Ganz niedergeschmettert vor Erstaunen bereute dieser seine Schuld und machte den Schaden wieder gut.
Aus "Kraft und Licht".

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 2360
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