Mutter macht sich Vorwürfe
Otto Funcke sollte in einem etwas entfernt liegenden Dorf eine Predigt halten. Es war ein schöner Tag, aber dann begann es heftig zu regnen. Er musste durch Wälder, Schluchten und Täler und wilde, zerrissene Berge gehen, watete schließlich durch Pfützen und Schlamm und war völlig durchnässt. Warum muss es gerade heute regnen? Darauf fand der inzwischen missmutige Pfarrer keine Antwort. Aber da ging er an einer kleinen Hütte vorbei und er entschloss sich, einzutreten und auzuruhen. Hier fand er eine junge, aber blasse Frau mit ihrem Säugling. Sie gab ihm wortlos einen Stuhl und rückte ihn an den Ofen. Funke aber wollte das Gespräch beginnen. "Was haben Sie denn für ein liebliches Kindlein!" Die Mutter brauste auf und schrie: "Ein liebliches Kind? Sehen sie nicht, dass es blind ist? Blind geboren?" Funcke war erschüttert. Mehr noch, als die Mutter sich deswegen Vorwürfe machte und gar meinte, dass sie daran schuld sei. Der müde und durchnässte Pfarrer aber begann ihr die Geschichte des Blindgeborenen zu erzählen, von dem auch die Jünger dachten, dass die Eltern dafür verantwortlich wären. Die Frau hörte, stellte Fragen, wollte noch mehr wissen und Funcke begann ihr vom Heiland zu erzählen. Allmählich erhellte sich ihr Gesicht. Beim Abschied bekannte Funcke, dass er wegen des schlechten Wetters missmutig geworden sei und dauernd sich fragte, warum es gerade heute regnet. "O lieber Herr, das weiß ich jetzt auch!" "Ja, ich auch", antwortete er. In ihrer Seele war es Licht geworden und die Anklage verstummt. Funcke aber setzte seinen Weg guten Mutes fort - im strömenden Regen. Allerdings, meinte Funcke, habe ich nie erfahren, warum es auch weiterhin noch regnete!
Otto Funcke, Kutsche, Bahn und Schusters Rappen, Brunnen, 1999
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