Mit ein paar Worten ist Versöhnung nicht getan
Als junger Mann lebte ich ein paar Monate in einem entzückenden kleinen Städtchen. Wenn man vom Schloßberg auf die grauen Dächer, die alten Türme und efeuumrankten Mauern hinuntersah, dann meinte man, hier müsse der Friede wohnen. Aber ...
Schon bald luden mich einige Familien zu sich ein. Wenn man gut und reichlich gegessen hatte - dann ging's los. Dann kam der Tratsch! Und ich merkte, dass hier endlose Streitigkeiten die Leute ausfüllten. Ich wusste manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Meiers hatten Krach mit Schulzes und Müllers mit Krauses. Der schlimmste Brandherd aber - das wurde mir allmählich klar - war der Streit, der in einer weit verzweigten Familie ausgebrochen war. Von ihr lebten mehrere verheiratete Geschwister in der Stadt. Jede dieser Familien lud mich ein und bewirtete mich liebevoll. Dafür musste ich dann geduldig ausführliche Berichte von den Schlechtigkeiten der Schwäger und Nichten über mich ergehen lassen.
Ich war damals jung und von glühendem Idealismus beseelt. Kein Wunder, dass ich mich entschloss, hier als rettender Engel aufzutreten. So lud ich alle Beteiligten an einem schönen Sommerabend zu einer Aussprache ein in eine große Gartenlaube vor der Stadt. Und sie kamen, ja, sie kamen wirklich! Es war ein wonniger Abend. Die Sonne versank langsam hinter den Bergen. Ein unendlicher Friede lag über der Welt. In meiner Laube aber focht ich einen heißen Kampf aus. Du liebe Zeit! Wie ging es da zu! Sie überfielen sich mit Vorwürfen. Oft redeten alle zu gleicher Zeit, und ich hatte Mühe, Tätlichkeiten zu verhindern. Aber allmählich versiegte auch bei der geschwätzigsten Frau der Redestrom. Ich konnte eingreifen, zureden, ausgleichen. Und endlich - nach langen Reden hatte ich es erreicht: Man gab sich die Hand, sang noch ein friedliches Abendlied. Und friedevoll ging ein jeder nach Hause. Mir war das Herz so voll! Ich war so glücklich! Wie beschwingt kehrte ich durch die buckligen Straßen nach Hause zurück...
Am nächsten Morgen führte mich mein Weg über den Markt. Dabei stieß ich auf eine der beteiligten Frauen. Glücklich eilte ich auf sie zu. Aber ehe ich noch ein Wort sagen konnte, fiel sie über mich her: »Haben Sie gehört, was meine Schwägerin gestern Abend auf dem Heimweg gesagt hat?« Und dann folgte eine endlose Schimpfrede. Mir schwindelte: »Ja, aber hören Sie! Es ist doch Friede geschlossen worden!« »Frieden!«, kreischte sie. Und dann lachte sie höhnisch: »Jetzt geht's erst richtig los!« Damit wandte sie sich an den Marktstand: »Was kosten die Möhren?«
Da stand ich nun, ich armer Tor. Ach ja! Nun ging's erst richtig los. Die Frau hatte Recht gehabt. Und ich hatte meine erste Enttäuschung als junger Christ erlebt. Damals habe ich es gelernt, dass man den Jammer der Welt nicht mit ein paar guten Worten beseitigen kann, sondern dass es erst da neu wird, wo Jesus einzieht, der gesagt hat: »Siehe, ich mache alles neu.«
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