Man sollte den Menschen mehr die heldenhaften Worte bringen
Eine Begebenheit mit Professor Schlatter hat einer, der sie selbst erlebte, erzählt.
Ich stellte ihm die Behauptung hin, es gebe so viele schwächliche Worte und Begriffe in der Bibel, mit denen ein junger Mensch nichts anzufangen wisse.
"Zum Beispiel?"
"Zum Beispiel Matthäus neun: ,Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken!' Ist das nicht etwas Ungesundes? Ich bin nun mal ein Starker. Was kann ich dafür? Die heldenhaften Gedanken und Gestalten der Bibel - gut, das lasse ich gelten. Aber das Demütigsein, Sichducken, Leiden - man sollte den Menschen mehr die heldenhafte Worte bringen. Das brauchen sie."
Der Professor - wir befanden uns auf einem Spaziergang - blieb stehen.
"Haben Sie eine Stunde Zeit für mich?"
"Aber mit Vergnügen, Herr Professor!"
"Sie waren neulich über Pfingsten in den Alpen?"
"Jawohl, Herr Professor!"
"Wie war das? Erzählen Sie!"
Begeistert schilderte der Student seine Eindrücke. Der Professor hörte interessiert zu.
"Sie sind ein empfängliches Gemüt und wissen, Gottes Wunder zu sehen und zu schildern. Aber ich gehe eben zu jemanden, der krank ist. Wollen Sie mich begleiten und dem Mann von Ihrem starken Erleben erzählen?"
Er ging natürlich mit. Ein Gang an ein ganz schweres Krankenlager. Der Erzähler schwieg.
"Nun", ermunterten die Zuhörer, "was geschah dann?" Sie erwarteten noch etwas. Die Geschichte musste doch einen Schluss haben. Irgend etwas Überraschendes.
Eine Weile schwieg er. Dann sprang er auf. "Ein Esel war ich. Blamiert habe ich mich."
"Blamiert?"
"Der Professor stellte mich vor und sagte dem Kranken, ich habe ihm etwas Wundervolles zu berichten. Und dann sollte ich anfangen. Ich konnte einfach nicht reden. Ich stammelte unsinniges Zeug. Was sollte ich dem Mann da - der sichtlich nicht mehr lange zu leben hatte und mit seltsam geduldigem Lächeln mich anhörte - von meiner Alpenfahrt sagen? Ein Esel war ich."
"Und der Professor?"
"Der? Der zog seine Bibel heraus und las. Gerade die Stelle in Matthäus von den Kranken und von dem Arzt. Und dann betete er mit dem Mann."
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