Lehrer für Toga

Beinahe unzählig wie die Sterne am Himmel sind die Inseln des großen Stillen Ozeans. Eine Inselgruppe von fünf kleinen Inselchen heißt die Torres-Inseln. Die Leute die hier wohnen, haben ganz schwarze Hautfarbe. Sie sind recht bedauernswert, denn unter ihnen herrschen böse Krankheiten. Deshalb hat man sich auch lange gescheut, zu ihnen zu gehen. Doch als ihre Nachbarn, die auf naheliegenden Inseln wohnten, vom Heiland zu hören bekommen hatten und durch Ihn sehr glücklich geworden waren, da trieb die Liebe sie auch zu den armen Leuten auf den Torres-Inseln. "Wenn diese nur auch so glücklich würden wie wir!" dachte sie und vergaßen darüber die Angst vor den ansteckenden Krankheiten ihrer armen Nachbarn. Nach und nach hatten sich auf vieren dieser Inseln eingeborene Christen von den Nachbarinseln angesiedelt und erzählten den Heiden vom Heiland. Aber Toga, die kleinste und am südlichsten von ihnen gelegene Insel, blieb ohne das Evangelium. Häufig hatten sie bereits die Missionare gebeten, ihnen doch auch einen Lehrer zu senden, aber immer wieder wurde ihnen die sie betrübende Antwort: "Leider, leider haben wir für Toga noch keinen Lehrer!"
Es war am Weihnachtstage 1894, als die Bewohner der Insel Loh, die Toga am nächsten liegt, auf dem von der Sonne bestrahlten Meere einen kleinen schwarzen Fleck entdeckten. Es war ein einfaches Floß, auf dem einige Bewohner von Toga, die vom Bootbauen nichts verstanden, sich nach Loh auf den Weg gemacht hatten. Nur langsam bewegte sich dieses vorwärts auf der stillen Meeresfläche. Erst bei Sonnenuntergang erreichten sie die Insel, und zehn Togamänner stiegen still an Land und sagten, sie möchten gern zehn Tage dort zu Besuch bleiben. Den eigentlichen Zweck ihres Kommens verrieten sie nicht, und es galt auch nicht als schicklich, sie auszufragen. Sie blieben als dort. Aber siehe da, wenn die eingeborenen Christen der Insel sich morgens und abends in ihrer kleinen Kirche zur Andacht versammelten, so setzten die zehn Besucher sich still draußen vor die Kirche, deren Seiten nur mit Matten verhängt waren, durch die hindurch die Togaleute sie gut hören und sehen konnten. Die Besucher hatten auch viel zu fragen, wie die christlichen Eingeborenen lebten und welche heidnischen Gebräuche sie aufgegeben hätten.
Als nun für diese seltsamen Besucher der Tag der Abreise gekommen war, da sagte ihr Anführer zu dem christlichen Lehrer aus Loh: "Wir haben oft um einen christlichen Lehrer gebetet, aber keinen bekommen. Lange haben wir gewartet; nun aber sind wir des Wartens müde geworden. Deshalb sind wir hierher gekommen, um zu sehen, wie die Christen leben. Jetzt kehren wir wieder zurück zu unserer Insel, und wir wollen von jetzt ab als Christin zu leben versuchen und alles das lassen, was Christine nicht tun dürfen. Wenn dann endlich auf unsere vielen Bitten hin der Lehrer kommt, dann braut er uns nur das zu erzählen, was wir noch nicht gehört haben." Nach diesen Worten stiegen die Leute der Insel Toga auf ihr Floß und machten sich auf den langsamen Heimweg.
Zwei Monate später kam der Missionar nach Loh und hörte von dem seltsamen Besuch der Togaleute. Das machte auf ihn einen solchen Eindruck, dass er sich sofort auf den Weg machte, um jene kleine Insel zu besuchen. Freudig empfingen ihn die Bewohner und geleiteten ihn stolz in seine Herberge. Hoch oben in den Felsen hatten sie eine schöne Hütte mit herrlicher Aussicht auf die weite See für den schon so lange erwarteten Lehrer erbaut. Als der Missionar sich ein wenig bei ihnen erkundigte, fand er, dass sie bereits viele heidnische Gebräuche aufgegeben hatten. Auch hatten sie einen wöchentlichen Ruhetag eingeführt; und jeden Tag, morgens und abends, versammelten sie sich zu der Zeit um die Hütte, da sie die Leute in Loh bei der Andacht vermuteten. Still saßen sie dann auf den Felsen und schauten über die See hin. So warteten die Togaleute auf das Evangelium, und ihren Herzen entquoll der stille Ruf: "Komm herüber und hilf uns!"
Aufs tiefste gerührt von dem, was er gehört und gesehen hatte, kehrte der Missionar nach Loh zurück. Dort rief er die christlichen Eingeborenen zusammen, erzählte ihnen von dem sehnsüchtigen Warten ihrer Nachbarn und flehte den Herrn ernstlich an, doch bald einen Lehrer nach Toga zu entsenden.
Es vergingen zwei Wochen. Der Lehrer saß in seinem Zimmer uns schrieb eifrig, obwohl es bereits gegen Mitternacht war. Da näherten sich Schritte der Tür, und zwei eingeborene Knaben von 15 Jahren traten leise ein und setzten sich, wie es dort Sitte ist, auf den Fußboden und warteten. Beide waren Christen und hatte in der Missionsschule auf den Norfolkinseln Unterricht genossen, allerdings nur für kurze Zeit, weil sie dann krank geworden waren.
"Was die beiden wohl auf dem Herzen haben mögen!" dachte der Missionar, schrieb aber weiter, bis endlich einer der beiden fragte: "Vater, ist schon ein Lehrer für Toga gefunden worden?" -  "Noch nicht mein Sohn", antwortete der Missionar.
Zehn Minuten war es dann wieder still im Zimmer - dann die zaghafte Frage: "Vater, könnten wir nicht nach Toga gehen? Wir wissen, dass wir nicht wirkliche Lehrer sind. Wir sind auch ganz unwissend, aber wir glauben an Jesus und können lesen und schreiben. Wir könnten auf Toga doch etwas Gutes tun, bis ein wirklicher Lehrer für Toga gefunden ist."
Der Missionar war innerlich tief bewegt und lobte im stillen Gott für die Erhörung seines Gebetes; mit den Knaben jedoch sprach er nur über die Gefahren und Versuchungen, die sie im heidnischen Toga haben würden. "Also überlegt euch die Sache wohl," sprach er, "und fragt den Heiland, ob Er euch dorthin haben will. Nach drei Tagen kommt dann wieder und gebt mir Bescheid." Als sie wiederkamen, sagten sie: "Ja, wir wollen gehen." So nahm denn am Ende der folgenden Woche der Missionar die beiden Jungen in sein Boot und segelte nach Toga ab. Ein scharfer Wind brachte sie auch schnell vor die Insel, doch konnten sie wegen der hohen Brandung nicht landen. Deshalb beschloss der Missionar, nach Loh zurückzufahren, um an einem anderen Tage wiederzukommen. Die beiden Knaben jedoch wollten nicht wieder zurück. Sie sprangen über Bord und erreichten sicher das andere Ufer. Auf diese Weise kamen die ersten christlichen Lehrer nach dem kleinen Toga, wo es jetzt schon viele Eingeborene gibt, die ernste und freudige Nachfolger des Herrn Jesu geworden sind.

Quelle: Der ewig reiche Gott, Dietrich Witt, Beispiel 1426
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