Kein Herz

Es ward in Beisein Gottholds von einem Menschen geredet, daß er sehr kleinmüthig und furchtsam wäre, und gebrauchte einer die Redensart: Der Kerl hat kein Herz im Leibe. Gotthold sagte: Ich verstehe wohl, was ihr sagen wollt, ich wollte aber wünschen, daß viele Leute kein Herz im Leibe hätten, die nämlich, welche aus Großmüthigkeit, wie sie meinen, und ihre Reputation zu erhalten, oft liederlich mit dem Nächsten anbinden und darüber um Leib und Leben kommen. Ist es nicht eine schöne Sache, mit guter Resolution und Reputation, wie die Welt redet, in den offnen Rachen der Hölle sich stürzen? Wenn ihr am Ufer eines schiffreichen und schnellen Stroms ständet, und einer sagte: Ich halte dich für diesen und jenen, für einen verzagten Kerl, der kein Herz im Leibe hat, wenn du dich nicht in den Strom stürzest; was würdet ihr thun? Ohne Zweifel jenen für einen Rasenden halten Doch die Hölle achten wir nicht, wir können auf dem breiten Wege, der in die Verdammniß führt, in den Himmel gehen; daß es Gott erbarme! Ich will aber bei dieser Gelegenheit dennoch wahr machen, daß mancher Mensch kein Herz hat. Zu Rom ist vor nicht allzulangen Jahren ein vornehmer Mann an einer langwierigen Krankheit gestorben; in dessen eröffnetem Körper hat man kein Herz, sondern nur das Häutlein, damit sonst das Herz umgeben ist, gefunden und dafür gehalten, daß es von großer langwieriger Hitze, welche der Verstorbene erlitten, gänzlich verzehrt worden. Bei diesem ward kein Herz gefunden, als er gestorben war, bei manchem kann man kein Herz finden, weil er lebt. Der H. Geist gebraucht einer nachdenklichen Redensart, Jes. 58, 10.: So du wirst den Hungrigen lassen finden dein Herz und die elende Seele sättigen, so wird dein Licht im Finsterniß aufgehen. O wie manchmal sucht ein armer, elender, betrübter Mensch mit sehnlichem Ansehen, kläglichen Worten, vielen Thränen und herzlichem Flehen eines harten Mannes Herz und kann es nicht finden, wie es dem Lazarus mit dem reichen Manne ging. Luc. 16, 20. 21. Was der Prophet Hosea 4, 11. spricht: Hurerei, Wein und Most machen toll, oder, wie der Grundiert redet, nehmen das Herz weg, das mag man auch vom Geiz und der Unbarmherzigkeit sagen. Ja was noch schrecklicher ist, wie oft sucht der fromme Gott das menschliche Herz und kann es nicht finden! Gott sucht des Menschen Herz zu gewinnen durch seine Liebe, Güte, Langmuth, vielfältige Wohlthaten, durch sein Wort, durchs Kreuz, durch den Gewissenszwang, durch brüderliche Bestrafung und Erinnerung, aber die sichere, boshaftige Welt hat kein Herz für ihren Gott. Seht, wie es jetzt in der Welt zugeht; Gott hat hin und wieder getreue, gottselige, eifrige Diener, die mit Lehren, Strafen, Dräuen, Warnen, Flehen, Weinen, Bitten die Herzen suchen, allein die Welt lacht ihrer und geht immer hin, als eine verstockte (verleitete, alberne) Taube, die kein Herz hat. Hos. 7, 11. „Es ist da kein Hören, noch Sehen, es hilft kein Lehren, noch Beten, kein Ermahnen, kein Bitten, noch Flehen, keine Demuth, keine Geduld, kein Dräuen, kein Wunder, noch Zeichen, wir zwingen Gott zum Zorn mit aller Gewalt und wollen schlecht ihn nicht lassen gnädig sein, wie gern er es auch thäte“, wie ein gottseliger Lehrer (Luther) davon schreibt. Der Teufel hat ein höllisches Wunder an vielen Leuten gethan und hat sie verblendet, daß sie mit sehenden Augen nicht sehen, mit hörenden Ohren nicht hören, bei lebendigem Leibe todt sind und kein Leben haben. Ich halte, er habe vielen nicht allein das Wort vom Herzen, Luc. 8, 12., sondern auch das Herz selbst weggenommen. Dies lasset uns beseufzen und den barmherzigen Gott bitten, daß er sich solcher Leute erbarme und ihnen ein neues Herz wieder gebe! Eines fällt mir noch ein: Eine gottselige Jungfrau sagte einstmals zu mir: Ich habe kein Herz mehr, ich fühle es auch nicht, ich habe es längst meinem Herrn Jesu geschenkt, der hats in seiner Verwahrung. Auf solche Weise hab ich auch kein Herz mehr. Herr Jesu! du bist mein Herz! dein Geist ist meine Seele! du bist alles, ich nichts. So bin ich nun ein Wunder deiner Güte, daß ich ohne Herz lebe, und zwar besser, als wenn ich ein Herz hätte!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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