Kandidat Ohnesorge
Um das Jahr 1850 lebte in Berlin ein Kandidat, der hieß "Ohnesorge", denn er ließ seinen Gott im Himmel sorgen. Friedrich Wilhelm IV. hatte inniges Wohlgefallen an dem allezeit fröhlichen jungen Manne und nannte ihn nur den Kandidaten Sanssouci, d.h. ohne Sorge. Einmal schenkte er ihm auch eine Summe Geldes, damit er eine Reise nach Jerusalem und ins Heilige Land mache. Da sprang dem Ohnesorge das Herz im Leibe vor großer Freude.
Als er in Jerusalem war, sagte er eines Tages zu den drei Diakonissen, die damals das kleine Hospiz beaufsichtigten, in dem er logierte: "Morgen werde ich auf den Frankenberg wandern." Das ist der höchste Berg im Lande Juda, dessen Gipfel über alle anderen Berge ragt. Oben hatte König Herodes, unter dem der Retter der Welt geboren worden ist, seinen Palast und dann sein Grabmal. Später bauten dort die Kreuzfahrer ein befestigtes Kastell, weshalb er noch jetzt der Frankenberg heißt, denn alle Europäer wurden von den Türken Franken genannt. Dorthin wollte der reiselustige Ohnesorge. - Die älteste Diakonissin, die Land und Leute kannte, warnte ihn davor, allein hinauszugehen, wenn er nicht von den Beduinen ausgeplündert sein wolle. Aber das machte unserem Freund gar keine Sorge. Er wanderte singend fort, kam über Bethlehem, wo er die Geburtskapelle besuchte, bis an den Fuß des Kegels und da er auf Schusters Rappen reiste, brauchte er nicht erst vom Rösslein zu steigen, sondern kletterte langsam, aber getrost bis auf die Spitze. Dort setzte er sich auf einen großen Stein und schaute in die Vertiefung hinab, wo man rings noch die Ruinen der alten, mächtigen Mauern sehen kann. - Da standen plötzlich die dunklen Gestalten mehrerer Beduinen vor ihm und ehe er sich besinnen konnte, hatten sie ihn schon bis aufs Hemd ausgeplündert und eilten mit ihrem Raube davon. Da saß nun der arme Mann auf dem kalten Stein; die Winde bliesen ihm durch die Haare und die Ärmel. Aber er blieb, der er war, der Ohnesorge. Alle Sorge warf er auf Den, der für Seine Kinder sorgen will und fröhlich und laut fing er an zu singen, dass es laut schallte:
"Ein' feste Burg ist unser Gott,
Ein' gute Wehr und Waffen,
Er hilft uns frei aus aller Not,
Die uns jetzt hat betroffen."
Die Beduinen hörten den Gesang. Sie wussten nicht, wie's ihnen in ihrem harten Herzen auf einmal wurde. Ehe der erste Vers zu Ende war, kam einer der Räuber angeschlichen und setzte die Stiefel wieder hin; dann kam der zweite mit dem Rock, der dritte mit den Beinkleidern und als Ohnesorge das Lied ausgesungen hatte, lagen alle seine Sachen rings um ihn auf dem Gemäuer. Er zog sich wieder an, stieg frischen Muts den Berg hinab und wanderte singend und lobend heim in die Stadt. Etliche Jahre darauf ist er ebenso getrost in das himmlische Jerusalem eingezogen und hat vor dem letzten Feinde, dem Tode, sich ebenso wenig Sorge gemacht, als vor den Beduinen. Sein Gott hatte ja schon längst dafür gesorgt, dass ihm die Türen des Himmels aufgeschlossen waren.
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