Ihr seid teuer erkauft!

Paulus hat sein ganzes Leben lang die Welt durchsucht nach Bildern, die sein wichtigstes Thema - "das Wort vom Kreuz" - zur Sprache bringen könnten. Eines dieser Bilder könnte man etwa so nachzeichnen (vgl. 1. Kor. 6,20): 
Wer in Korinth auf den Markt kam, konnte dort Apfelsinen, Pfirsiche, Fleisch und alle möglichen anderen Dinge kaufen. U. a. gab es dort auch einen Stand mit "andra-poda", mit "Sachen, die Füße haben wie ein Mann". Sachen mit Menschenfüßen? Was kann das sein? - Sklaven, was sonst!

Nun stelle man sich so einen Stand mit andra-poda vor. Der Verkäufer hat neben "erster Wahl" auch einen Ladenhüter, den er nicht mehr loswerden kann. Auf den ersten Blick erkennt man, warum. Eine ausgemergelte Gestalt. Jahrelang war er in den Fängen eines brutalen Sklavenbesitzers, der ihn geschunden und geschlagen hat. Der ganze Körper ist bedeckt mit Narben. Er kann niemanden mehr ansehen, die Augen haben einen irren Blick, kriechen auf dem Boden. Eine in sich zusammengesunkene Gestalt, ein Wrack. Leute gehen vorbei und taxieren ihn, fühlen ihm die Rippen, reißen ihm den Mund auf und schauen nach den Zähnen und sagen: "Was soll das noch? Abfall!" Doch da kommt einer und fragt: "Was soll der kosten?" Er holt die Summe hervor, legt sie auf den Tisch und sagt: "Komm, geh mit, du gehörst jetzt mir."

Wir kennen den Vers bei Paulus: "Ihr seid teuer erkauft." Das muss man ganz wörtlich übersetzen: "Bar gekauft" steht da, d. h.: Nicht auf Ratenzahlung. Der alte Besitzer hat nicht mehr für einen Pfennig Anrecht. Der Kauf ist perfekt. Wenn Luther formulierte: "Teuer erkauft - nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut", dann will er ausrufen: Du und ich, jeder von uns ist für Gott einen ganzen Christus wert. Das ist die Währung, in der wir vor Gott gehandelt werden. Wer das einmal verstanden hat, der kann nur noch darüber staunen, wer er in den Augen Gottes ist. Jeder von uns ist Gott einen Christus wert, weniger nicht. Was muss, was darf da aus unserem Leben werden!

Ihr seid teuer erkauft, bar gekauft, nun gehört ihr dem neuen Herrn. Dabei, sagt Paulus, geschieht das, was ein Sklave nur träumen konnte. Er kommt nämlich von jenem brutalen Sadisten zu einem Herrn, der einen Menschen - nicht eine Sache - in ihm sieht, ihn freundlich in sein Haus aufnimmt. Da fängt er an aufzuleben. Die Gestalt richtet sich auf. Die Augen bekommen wieder Glanz, er lernt das Sprechen neu. Er bekommt wieder Haltung: Menschwerdung eines Menschen! Und dann kommt der Tag, an dem der neue Herr sagt: "Ich lasse dich frei. Da ist das Gewand des freien Bürgers. Ich habe dich freigekauft, habe das Recht, dich freizulassen."

Paulus fährt nun fort: Das ist eure Situation! "Darum preiset Gott mit euren Leibern." Was meint er damit? Stellen wir uns vor, dieser ehemalige Sklave geht eines Tages als freier Bürger durch die Straßen von Korinth. Da plötzlich sieht er seinen ehemaligen Sklavenbesitzer. Als er dessen Gesicht erkennt, diese verzerrte, brutale Visage, da kommen die Ängste der Vergangenheit wieder hoch. Da zittern ihm die Knie, ihn überfällt wieder der Schauder von damals, fliehen möchte er. Und schon hat der andere ihn gepackt und schreit ihn an: "Wie wagst du es, so herumzulaufen? Aus der Gosse kommst du, in die Gosse gehörst du!" Jetzt kommt der entscheidende Augenblick - wird er seinem neuen Herrn Ehre machen? Oder wird er jetzt vor dem alten in die Knie sinken? Wird das Neue oder das Alte siegen? Da richtet sich der Freigelassene auf und sagt: "Was haben wir eigentlich noch miteinander zu schaffen? Wenn du etwas willst, schleppe ich dich vor meinen neuen Herrn. Der wird dir zeigen, was du mir noch zu sagen hast, denn der Kauf ist perfekt."

"Ihr seid bar erkauft, preist Gott mit eurem Leibe", d.h.: Mit eurem ganzen Leben macht Gott groß. Wenn die Schuld euch verklagen will - Gott hat gesiegt; wenn der Teufel euch ängstigen will, schüttelt ihn ab und nehmt ihn mit zu eurem neuen Herrn (Christen nennen das "beten"), dann hat er nichts mehr zu sagen. Wenn wir uns wieder von den alten Mächten ängstigen lassen, dann nehmen wir die Tatsache nicht ernst, dass wir wirklich und endgültig freigekauft sind. Dann entehren wir unsern Retter!

(Siegfried Kettling)

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1212
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