Ich suche ein gutes Wort von dir
Die Eltern August Winnig´s pflegten Verstimmungen in ihrer Ehe in Ruhe auszutragen, wobei der Mann zuerst die Hand zur Versöhnung zu reichen pflegte.
Ein solcher Verdruss hatte sich wegen meines Daseins eingestellt. Die Frau saß unwillig abgekehrt und tat, als sähe sie den Mann nicht. Dem war es bald genug damit, und er sehnte sich nach Wiederkehr des Friedens. Die Frau verhielt sich aber abgeneigt und achtete nicht der üblichen Versöhnungsversuche. Da zündete der Mann am hellichten Tage eine Laterne an und begann mit dieser das Haus zu durchwandern. Er ging von der Stube in die Kammer, ging durch Küche und Flur und stieg zum Boden hinauf, kam in die Stube zurück und begann seine suchende Wanderung von neuem. Trotz ihrer Verwunderung hielt die Frau die Lippen geschlossen und fragte nicht. Als aber der Mann dann gar die Schubkästen und Schranktüren öffnete und mit seiner Laterne hineinleuchtete, auch zwischen Wäschestücken und hinter Töpfen und Krügen suchte, konnte sie sich der Frage nicht länger enthalten, was es mit diesem suchen auf sich habe. Da sah sie der Mann bedrückt an und sagte: "Ich suche ein gutes Wort von dir", woraus er endlich zum Ziel kam.
Nach: August Winnig, "Frührot", Cottasche Buchhandlung, Stuttgart.
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