Ich bin ein Arzt aus dem 20. Jahrhundert

Die Bibel sagt uns nicht, dass wir sterben, weil unser Leib sich abgenutzt hat, sondern weil Gott es so gewollt hat. "Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht" (Hebr. 9,27). "Wir wissen, dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein Haus nicht mit Händen gemacht, ein ewiges in den Himmeln" (2. Kor. 5,1). Es wird uns also einmal gesagt, dass es uns "gesetzt ist zu sterben", offensichtlich von Gott gesetzt; und dann, dass der Leib "zerstört wird". Der Tod wird also nicht als Verfall des Körpers, als ein biologisch erklärbarer Vorgang hingestellt.
Das wird uns in besonderer Weise bewusst, wenn wir an das Wort aus Psalm 90,10 denken. "Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre" (Luther-Übers.). Mose hat diesen Psalm geschrieben. Er wurde in Ägypten geboren und lebte vor mehr als 3400 Jahren. Damals wurden, wie wir soeben gelesen haben, die Menschen siebzig bis achtzig Jahre alt, und diese Zahl gilt heute noch. Es wurden und es werden gewaltige Anstrengungen gemacht, das Leben zu verlängern, aber offensichtlich ist in den mehr als 3000 Jahren, die uns von Mose trennen, kein nennenswerter Fortschritt gemacht worden. 
Um besser verstehen zu können, was das heißt, wollen wir einmal unsere Phantasie spielen lassen und annehmen, ein Arzt aus dem 20. Jahrhundert könnte sich in die Zeit des Mose zurückversetzen und sich dann mit einem ägyptischen Kollegen unterhalten. Ich stelle mir das etwa so vor:
"Lieber Kollege vom Nil, ich bin ein Arzt aus dem 20. Jahrhundert. Durch bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen ist es möglich geworden, mir zu einer Reise in die Vergangenheit zu verhelfen, und so bin ich hier und interessiere mich sehr für Ihre Behandlungsmethoden."
"Lieber Kollege aus dem 20. Jahrhundert, ich will Ihnen gern alles zeigen und erklären." Er würde ihm dann sein Behandlungszimmer, eine große Anzahl von Behältern mit Heilkräutern, Flaschen mit Säften und Essenzen, wahrscheinlich eine Badewanne, einen Untersuchungstisch und andere Dinge zeigen. Sicher hätte er noch allerlei, was ich nicht kenne.
Der Arzt aus dem 20. Jahrhundert könnte, trotz seiner Absicht, die alten Verfahren zu erkunden, nach einiger Zeit nicht mehr an sich halten und finge an, von den modernen Methoden zu erzählen. "Bei uns sieht alles ganz anders aus. Wir haben im Vergleich zu Ihnen sagenhafte Methoden und Hilfsmittel. Ich denke an unsere Mikroskope, mit denen wir auch den kleinsten Krankheitserreger sichtbar machen können. Mit Hilfe der Röntgenstrahlen ist es uns möglich, in einen Menschen hineinzuschauen, ja, wir können sein Inneres fotografieren. Wir entnehmen Blut und prüfen und analysieren es bis ins letzte. Falls nötig, wird es gewaschen oder ergänzt. Wir haben schmerzstillende Mittel, so dass wir die meisten Operationen durchführen können, ohne dass der Patient etwas fühlt. Wir können ihn selbst dann noch künstlich ernähren, wenn er keinen Mund mehr hat, um zu essen, und keinen Darm mehr, um zu verdauen. Wir haben, an Ihren Heilkräutern gemessen, phantastische Medizinen, und unsere Ärzte werden lange und sorgfältig ausgebildet. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns, zwischen damals und heute, ist so groß, dass er Ihnen vorgeführt werden müsste. Ein mündlicher Bericht allein kann ihn nicht herausstellen."
Erst verlegen, dann staunend und schließlich bewundernd hätte der ägyptische Arzt zugehört. Aber dann käme es heraus: "Sie haben sicher den Tod überwunden! Das finde ich großartig." - "Keineswegs", müsste der moderne Arzt antworten. "Wir haben einige Krankheiten besiegt, andere stark zurückgedrängt, aber sterben müssen wir immer noch." - "Doch noch sterben? Aber die Menschen leben sicher sehr lange, vielleicht 500 Jahre, nehme ich an."
"Nein, auch das nicht", müsste der moderne Arzt verlegen zugeben. "Wir haben das Durchschnittsalter erheblich angehoben. Lange Zeit mussten viele früh sterben, aber heute ist die Lebenserwartung etwa doppelt so hoch wie früher."
"Aber wie alt werden denn die Menschen, wenn sie schon sterben müssen, wenn sie keine 500 Jahre schaffen? Wie alt werden sie?" - Jetzt geriet der moderne Arzt in Verlegenheit. Ausweichen könnte er nicht, und so käme dann heraus: "Wie alt die Menschen bei uns werden? Nun, man kann sagen, wenn ich einmal eine durchschnittliche Angabe machen soll, etwa 70-80 Jahre." Auf einmal stände der Ägypter wieder fest auf der Erde. "70-80 Jahre? Aber das erreichen wir doch auch, und zwar ohne Mikroskope, ohne Röntgenstrahlen, ohne Blutwäsche. Und Ihre sagenhafte Medizin, lieber Kollege, Sie scheinen doch unterschätzt zu haben, was ich in den alten, verbeulten Kanistern aufbewahre. Ganz so arm wie vor einigen Minuten erscheint mir meine Ausbildung auch nicht mehr."

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1467
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