Hundert Jahre Sonntagsruhe
Es sind jetzt (Jan. 1937) genau hundert Jahre her, dass im "Schwäbischen Merkur" eine Anzeige erschien, die den ersten Anstoß zur Einführung der allgemeinen Sonntagsruhe gegeben hat. Darin teilte der Kaufmann Friedrich Stammbach der Stuttgarter Bürgerschaft mit, dass er gesonnen sei, fortan an allen Sonn- und Feiertagen seinen Laden geschlossen zu halten, "weil eine von allen werktäglichen Geschäften möglichst zurückgezogene Feier des Sonntags für ihn und seine Familie immer mehr als ein Bedürfnis erscheine". Das war etwas Neues. Bis dahin konnte man fast zu jeder Tageszeit, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein, wochentags wie sonntags nach Belieben einkaufen. Hier wagte nun ein einzelner, dem sein christlicher Glaube Herzenssache war, gegen den Strom zu schwimmen, obwohl er Gefahr lief, durch diesen gewagten Schritt fast seine ganze Kundschaft vom Lande zu verlieren. Aber Gott legte auf dieses aufrichtige Beginnen seinen Segen, viele der Mitbürger spürten, dass hier ein neuer guter Geist zu wirken begann, und so erlitt das Geschäft durch die Sonntagsruhe nicht die Anfangs erwartete Einbuße, sondern musste sehr bald neue Räume beziehen, um den Zustrom neuer Käufer zu fassen. Auch über Stuttgarts Grenzen hinaus fand der mutige Schritt Friedrich Stammbachs Beachtung. Ein Frankfurter Blatt schrieb: "Mögen manche in ihrer hohen Weisheit über diese Anzeige mitleidig die Achseln zucken und sie belächeln und dabei einige Bemerkungen über Frömmler und Pietisten fallen lassen, wir drücken im Geiste dem wackeren E. H. F. Stammbach die Hand und wünschen ihm allerwärts viele Nachfolger." Diese Nachfolger ließen nicht lange auf sich warten. Sehr bald verständigten sich viele Stuttgarter Kaufleute mit ihrem Mitbürger und schlossen ebenfalls an den Sonntagen ihre Geschäfte. Jetzt, nach hundert Jahren, ist es mehr als eine Dankespflicht, das Gedächtnis an jenen entschiedenen Christen zu erneuern, der mit seinem hochherzigen Entschluss eine soziale Tat vollbracht hat.
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