Häftlinge beim Bau der Eisenbahnlinie
Folgende Geschichte wurde Keller erzählt: In einem Gefängnis gab es eines Tages ein abwechslungsreiches Ereignis. Alle Gefangenen wurden zusammengerufen und ein vornehmer Mann machte ihnen folgendes Angebot: "Beim Bau der Eisenbahnlinie streiken meine Arbeiter. Wer von euch möchte dort arbeiten? Freie Kost, nach Beendigung der Arbeit Straffreiheit und Lohn. Aber: Wer Unruhe stiftet, wird von mir erschossen."
Ein Stundist meldete sich: "Wie heißt du? Ich möchte für dich beten.." Der Adelige nannte seinen Namen und fügte hinzu: "Ihr werdet die gleiche Kost und die gleichen Verhältnisse haben wie ich." Der Baron hielt Wort und teilte mit den Häftlingen in jeder Hinsicht. Er sorgte für Ordnung und Arbeitsmoral. Und sie gehorchten ihm. Als die Arbeit abgeschlossen wurde, wollten viele der ehemaligen Verbrecher nicht nach Hause eilen: "Väterchen, hast Du nicht noch solche Arbeit für uns? Wenn wir jetzt von hier fortgehen, fängt die alte Lumperei wieder an. Jetzt haben wir ohne Schnaps tüchtig arbeiten gelernt, warum sollten wir wieder schlecht werden?"
S. Keller, "Unsichtbare Fäden", S. 71
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