Gottholds Hochzeitlied
Mein geehrter Leser, weil Gotthold die üppige Weltfreude auf Hochzeiten jederzeit gerne hätte gemäßigt gesehen, hat er einmal ein zu vorhergehender Andacht sich nicht übel schickendes Lied aufgesetzt, welches auf die bekannte Melodie des Grabliedes Landgrafen Friedrichs von Hessen kann gesungen werden; selbiges, als es einem frommen Musikanten übergeben und von demselben mit artiger Stimme eines Knaben auf etlichen Hochzeiten gemacht worden, hat etlichen Gästen die Thränen in die Augen getrieben, den Weltgesinnten aber einen Verdruß und den Musikanten einen Verweis erweckt, weil sie (ach elende Christen.) vermeint, solche Lieder gehören auf Hochzeiten nicht. Der gottselige gewissenhafte Leser wird sich dessen Einschaltung an diesem Ort nicht lassen entgegen sein.
Das Fleisch.
Mit fröhlicher Stimme.
Lustig, ihr Gäste! seid fröhlich in Ehren,
Esset und trinket mit fröhlichem Muth!
Ist es doch Hochzeit, wer will es uns wehren?
Mache dich lustig, du redliches Blut!
Lasset die Gläserlein frisch umher wanken!
Plaget euch heute mit keinen Gedanken!
Lustig, ihr Brüder! Erzählet Geschichten,
Suchet die lustigsten Schwänke hervor,
Saget uns Räthsel und Freudengedichte!
Wer nicht mit narret, der ist wol ein Thor.
Man kann nicht alle die Worte abwägen,
Worte sind Worte, dran ist nichts gelegen.
Lustig, ihr lieblichen Jungfern und Frauen!
Kommet zum Tanze, das Saitenspiel klingt,
Lasset die zierlichen Sitten heut schauen!
Der soll faul heißen, der nicht umher springt!
Lustig! wir wollen die Hochzeit genießen
Und davon lange zu sagen noch wissen!
Lustig, ihr Nachbarn, auch bis an den Morgen!
Seht! Diese ganze Nacht soll unser sein.
Schaffet von hinnen die nagenden Sorgen!
Weg mit der Traurigkeit! Freude herein
Zählet die Stunden nicht, lasset sie eilen
Wir wollen dennoch hie länger verweilen.
Der Geist.
Mit leiser und fast trauriger Stimme
Nicht allzu lustig, ihr Gäste! Ach denket,
Daß dieses Leben ein Nebel nur ist!
Danket dem Herren, der alles uns schenket,
Denket des Todes, der alles wegfrißt!
Heut sind wir fröhlich, wir scherzen und lachen,
Stecken wol morgen dem Tode im Rachen.
Sachte, ihr Brüder! und denket der Stunde,
Da man uns alle wird bringen hervor,
Rechnung zu geben von unserem Munde;
Wer es nicht achtet, der ist wol ein Thor.
Worte sind Pfeile, verwunden die Herzen,
Worte sind Schwerter und machen oft Schmerzen.
Tanzet, ihr Lieben, am lustigen Reihen!
Denket daneben, der Würger tanzt mit!
Wer weiß, wie lange noch währet der Maien!
Zwischen dem Tode und euch ist ein Schritt.
Alles ist eitel, mit Thorheit verbunden,
Niemand hat Ruhe in Unruh gefunden.
Ewig! ach ewig! ihr Menschen, ist lange,
Ewigkeit folget auf eilende Zeit,
Ewigkeit! Ewigkeit machet mir bange,
Ewigkeit folget auf närrische Freud.
Zählet die Stunden mit Zittern und Scheuen,
Daß es euch möge nicht ewig gereuen!
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