Gott führt den Retter herbei
Von der Wohltäterin des Wuppertals, "Tante Hanna", erzählt Wilhelm Busch:
An einem stürmischen und regnerischen Nachmittage sitzt Tante Hanna in ihrem Häuslein und ist froh, unter Dach und Fach zu sein. Da heißt es in ihr: "Gehe sofort zu Familie N. N.!" Alles wehrt sich in ihr: "Ach, Herr, bei dem Wetter und in die Straße!" Aber es hilft nichts, sie muss fort, die innere Stimme ertönt immer wieder. Als sie zu der Familie kommt, spürt sie bald, dass da eine unheimliche Stimmung herrscht. Sie kennt die Lage der Leute. Indem sie den Herrn um seinen Beistand anruft, fängt sie ganz unbefangen ein Gespräch mit den Leuten an; sie versteht es, den Gedrückten allerlei Trost aus dem Heiligtum fließen zu lassen.
Als sie sich nach einiger Zeit zum Aufbruch anschickt, geleitet sie der Mann bis an die Treppe vor dem Hause, zieht einen Strick aus der Tasche und bekennt: "Sehen sie, Frau Faust, damit wollte ich mich heute Abend an einem Baum erhängen, aber sie sind gekommen, mich zu retten."
Ein andermal hat Tante Hanna einen ganzen Tag lang die bestimmte Weisung, an diesem Tage noch eine Familie zu besuchen. So macht sie sich abends noch auf den Weg. Als sie eintritt, sitzt der Mann da, finster vor sich hinbrütend, die Kinder sind zur Mutter geflüchtet und schauen ängstlich zu dem finsteren Vater hin. Niemand beachtet Tante Hanna. Da sagte sie zu dem Mann: "Hör mal, dir ist es auch nicht nett zumut!" "Lassen sie mich in Ruh, Frau Faust", ist seine barsche Antwort. "Nein, ich lasse dich nicht in Ruh." "Frau Faust, lassen sie mich in Ruh!" - "Das tu ich nicht. Ich will dir etwas erzählen; du kennst die Geschichte, aber höre mal zu!"
Und sie macht sich daran und erzählt dem Manne schlicht und einfach die Geschichte von dem verlorenen Sohne. Während sie erzählt, treten dem Manne die Tränen in die Augen. Sie bringt ihn dahin, dass er in seine Kammer geht und auf den Knien Gottes Gnade anruft. Als sie hinausgeht, kommt ihr die Frau nach und erzählt, sie habe noch an diesem Abend ihren Mann verlassen wollen, da er den Entschluss gefaßt habe, zuerst seine Frau und die Kinder und dann sich selbst umzubringen, und zwar noch in dieser Nacht. Auf die Bitte von Tante Hanna blieb die Frau bei ihrem Mann.
Am Sonntag nachher hielt Pfarrer Rinck eine tröstliche Bibelstunde. Tante Hanna hatte vorher den Mann gebeten, doch auch zu kommen. Er war unter den Zuhörern. Nach der Bibelstunde kam er zu Frau Faust: "Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass sie dem Pfarrer alles von mir erzählt haben, ich habe so viel Segen gehabt." "So", sagte sie, "kommen sie mal mit zum Pfarrer Rinck!" - "Herr Pastor, habe ich Ihnen ein Wort von diesem Manne erzählt?" - Rinck konnte es ruhig verneinen...
Zwei Jahre nachher ist jener fröhlich heimgegangen im festen Glauben an seinen Erlöser.
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