Gewinn der Ehrlichkeit im Arbeitsleben

Die junge Kontoristin Fräulein Malten hat aus Versehen einen Auslandsbrief unfrankiert zur Post gehen lassen, doch bringt der Briefträger ihn wieder zurück. Unglücklicherweise gibt er ihn beim Chef ab, der über das Versehen sehr verärgert ist Fräulein Malten geht daraufhin zum Chef und sagt ihm, dass sie die schuldige sei. Der Chef sah auf: "Ihre Schuld? Ich habe ja noch gar nicht gefragt, wer die Eselei gemacht hat. Warum beschuldigen sie sich denn selbst?" - "Ich möchte nicht, dass der Verdacht auf jemand anders fällt. Ich hielte das für eine Unwahrhaftigkeit, und ich will am Sonntag zum Abendmahl gehen." Wieder sah der Chef auf: "Was hat denn das mit dem unfrankierten Brief zu tun?" - "Ich möchte nicht mit einer Lüge im Herzen oder mit einem nicht ganz reinen Gewissen vor den Tisch des Herrn treten." Wieder sah der Chef sie an: ,,Ja, gibt es denn noch wirklich Leute, die an so etwas glauben?" - "Ja, Herr Lorenz, die gibt es und wird es immer geben", sagte die Kontoristin mutig und sah ihren Chef an. "Sie würden also nicht lügen?" - "Nein, Herr Lorenz." - "So. - Na, dann übersetzen sie erst mal diesen englischen Brief und bringen sie die Sache mit der Frankierung in Ordnung." Wieder ein dreimaliges Klingelzeichen aus dem Kontor des Chefs. Fräulein Malten erschien mit dem Block. "Wie lange sind sie bei uns Fräulein Malten?" - "Drei Monate, Herr Lorenz." - "Wo waren sie früher?" - "Bei Midier und Sohn in Gera, aber ich musste die Stelle aufgeben, weil mein Vater hierher versetzt wurde." - "Was waren sie in der früheren Firma?" - "Kassiererin, Herr Lorenz." - "Sie verstehen es also, Kassenbücher zu führen?" - "Ich bin bilanzsicher, Herr Lorenz."
 "So, also das auch! Nun, ich habe bis jetzt noch nicht darüber gesprochen meine Kassiererin geht zum 1. Januar fort, sie will sich verheiraten... Ich bin auf der Suche nach einer tüchtigen, zuverlässigen Kraft für diesen größten Vertrauensposten in meinem Hause... Wollen Sie meine Kasse übernehmen, Fräulein Malten?"
 "Oh, Herr Lorenz... Ja, ich will es gern tun, und will Ihnen eine treue, ehrliche Kassiererin sein - mit Gottes Hilfe!"
Einige Jahre sind vergangen. Herr Lorenz sitzt jetzt mit einigen Geschäftsfreunden zusammen zu einer Besprechung. Von Personal ist die Rede, von Geschäftsunkosten. Herr Gerber klagt: "Die meisten Unkosten macht immer der Bücherrevisor, aber es muss sein. Man kann doch das Personal nicht so unkontrolliert daherwirtschaften lassen mit dem Geld und der Kasse. "Aufsicht tut not." Auch Herr Weber muss die großen Kosten für den Bücherrevisor aufbringen, und Herr Stenzel hat sogar einen Kassierer wegen Unterschlagungen entlassen müssen Nur Herr Lorenz schweigt dazu. Er braucht keinen Bücherrevisor. Wer ihn betrügen will, muss über Fräulein Malten gehen, und da geht es nicht weiter... Fräulein Malten aber ist glücklich. Sie hat eine angesehene Stelle mit großer Verantwortung. Sie weiß, dass ihr Wort gilt, sie wird für ihre Tätigkeit aber auch so bezahlt, dass sie ein sorgenloses Leben führen und ihrer inzwischen verwitweten Mutter eine Stütze sein kann. Sie segnet den Augenblick, wo sie in das Kontor ihres Chefs trat, um ihm ihre Schuld mutig zu bekennen. 
Nach einer Erzählung von Christine Holstein.

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 646
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