Geschichte von den Ketten - Gesetzestreue bringt keine Erlösung

Im Osten gab es einmal Menschen, die sich gegen ihren Herrscher erhoben hatten und dafür in Ketten gelegt wurden. Ihre Hände und Beine waren mit Ketten gebunden und ihre ganzen Bewegungen wurden durch die Ketten beeinträchtigt. Im Bett, beim Anziehen, beim Essen, beim Arbeiten, immer spürten sie ihre Ketten und hörten ihr Klingen. Selbst im Schlaf träumten sie von den Ketten. Nur in der Fantasie konnten sie sich manchmal ein Leben ohne Ketten vorstellen. An jeder ihrer Ketten war ein großes Schloss angebracht. Doch der Schlüssel dazu war vom Herrscher auf einen Felsen eines Bergs gelegt worden. Wegen der Ketten konnten die Bewohner aber keine großen Märsche machen und deshalb den Berg nicht hochsteigen. Sie konnten nicht einmal dem Herrscher deshalb ein Schreiben zuschicken. Alles war für sie sehr schwierig und hoffnungslos. Nur das Schloss gab ihnen Hoffnung. Es sagte ihnen, dass es dazu einen Schlüssel gibt und die Freiheit wirklich möglich war.

An einem Tag gab es eine große Aufregung. Der Schlosser im Dorf hatte vom Nachbardorf von seinen Verwandten ein Buch mitgebracht. Der Titel lautete: "Freie Bewegungen", es war ein hervorragendes Werk. Im Buch wurde sehr gut beschrieben, wie man sich frei bewegen kann. Der Schlosser hatte das ausprobiert und wirklich nach einiger Zeit konnte er sich viel freier und leichter bewegen. "Hervorragend! Fantastisch!", schrie er und erzählte allen von den Regeln für die freieren Bewegungen. Das ganze Dorf machte es dem Schlosser nach und dadurch lebten sie viel freier als vorher. Aber weil die Ketten behinderten, war es leider unmöglich, alle Regeln einzuhalten, die das Buch geboten hatte. So gingen einige Jahre dahin. Einige Bewohner fanden heraus, dass die Regeln einerseits zwar gut waren, aber dass die wahre Freiheit weit mehr beinhalten musste. Sie vernachlässigten die schweren Regeln. Die anderen dagegen versuchten, sie auf den Buchstaben genau zu erfüllen und hofften dadurch die wahre Freiheit zu erlangen. "Wir haben einen guten Anfang gemacht. Lasst uns jetzt weitermachen. Eines Tages werden wir frei sein", feuerten sie sich gegenseitig an. Doch manchmal stritten sie sich, welche Regel die wichtigste wäre.

Eines Tages kam ein Ausländer. Obwohl er wie einer von den Bewohnern aussah, hatte er keine Ketten. Weil die Dörfler so lange keinen Menschen ohne Ketten gesehen hatten, kam ihnen die Person komisch vor. Diejenigen, die die Regeln genau einhielten, waren eifersüchtig, weil der Fremde ohne die schwierigen Verrenkungen sich ganz leicht und beschwingt bewegen konnte. Sie stritten sich mit ihm, welche Regel die wichtigste wäre. Der Fremde antwortete: "Euer größtes Problem sind nicht die Regeln. Ihr braucht jemand, der euch von den Ketten erlöst. Ich gehe auf den Berg und hole euch den Schlüssel." Und so machte er es. Er holte vom Felsen den Schlüssel und öffnete die Schlüssel derer, die seine Hilfe wollten. Für die Bewohner, die so lange in Ketten gelegen hatten, war die neue Bewegungsfreiheit völlig ungewohnt und sie stellten sich noch komisch an. Sie lernten das neue Leben Schritt für Schritt. (DH)

Quelle: www.orientdienst.de
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