Gelt, Vater, ich bin keine wertvolle Kapitalanlage

Zeit haben für seine Kinder! 
Die Kinder hören immer nur von dem vielbeschäftigten Vater, von der abgehetzten Mutter: "Ich habe keine Zeit." Auch jener begüterte Vater, der sein Auto im Schuppen sorgfältig reinigte, hatte keine Zeit für seinen Knaben. 
"Gelt, Vater sagte der Kleine, der ihm unermüdlich zuschaut, "du musst dir arg viel Mühe geben mit deinem Wagen und brauchst viel Zeit dazu. Das muss man selber machen, das kann der Chauffeur nicht." 
"Ja, mein Junge", sagt der Vater, der im Augenblick an alles andere eher dachte als an eine ausgeschlossene Knaben Seele, "weißt du, dies Auto ist für mich eine sehr wertvolle Kapitalanlage. Wenn ich das nicht selbst besorge, dann wird es rasch seinen Wert verlieren; denn niemand geht so behutsam damit um wie ich, da lohnt sich Zeit und Mühe schon." 
Eine Zeitlang herrschte Schweigen zwischen den beiden im Schuppen, dann hub ein schüchternes, etwas wehmütig klingendes Stimmlein an: "Gelt, Vater, ich bin keine wertvolle Kapitalanlage." Erschrocken richtet der Vater sich auf und schaut seinem Jungen in die ein wenig feucht gewordenen blauen Augen. "Aber warum denn nicht?" 
"Weil du nie Zeit für mich hast." Der Vater hat seine Reinigungsarbeiten rascher beendet, als er beabsichtigte, und er ließ am Abend ein neu erschienenes Buch, eins von jenen vielen, "die man gelesen haben muss", in der Aktentasche stecken und hat statt dessen den ganzen Abend mit seinem hochbeglückten kleinen Buben gespielt. 
Aus: Otto Horch, "Eine Welt für sich"

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 759
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