Gegen unbrüderliche Kritik an der Predigt
Gegen unbrüderliche Kritik an der Predigt wendet sich C. H. Spurgeon (1834-1892): Der eine Prediger ist zu langsam, der andere zu schnell, der erste ist zu blumenreich, der zweite zu langweilig. Wenn alle Geschöpfe Gottes in dieser Weise beurteilt werden sollten, so würden wir den Tauben den Hals umdrehen, weil sie zu zahm sind, die Rotkehlchen schießen, weil sie Spinnen fressen, die Kühe töten, weil sie mit dem Schwanz wedeln, und die Hennen, weil sie keine Milch geben. Will man einen Hund prügeln, so kann man leicht einen Stock dazu finden; und nach dieser Manier könnte jeder Narr wider den besten Prediger im Land etwas zu sagen haben.
Ich habe auch Predigten tadeln hören wegen dessen, das nicht darin enthalten war. Mochte der vorliegende Gegenstand auch noch so gut behandelt sein, so war doch ein anderer Gegenstand vorhanden, über den eben nichts gesagt worden war, und somit taugte alles nichts. Das ist gerade so vernünftig, wie wenn meine Frau mein Pflügen deswegen tadeln wollte, weil es keine Löcher für die Bohnen macht, oder wenn sie ein Kornfeld schelten würde, weil keine Rüben darauf stehen. Hat man ein Recht, alle Wahrheiten in einer Predigt zu erwarten? Ebensogut könnte man jedes Gericht bei einer Mahlzeit erwarten!
Angenommen, eine Predigt enthält keine Tröstungen für Gläubige, aber sie enthält ernste Warnungen für Sünder - sollen wir sie darum verachten? Eine Handsäge wäre ein unglückliches Instrument, um sich damit zu rasieren - sollen wir sie darum wegwerfen? Was soll es nützen, wenn man sich immer bemüht, Fehler aufzuspüren? Es widert mich an, einen Mann mit einer feinen Nase immer Dinge herausriechen zu sehen, über die er schelten kann wie ein Rattenfängerhund, der nach Rattenlöchern schnüffelt. Lasst uns ja alle Irrtümer mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber lasst uns die Heckenschere nicht eher fassen, als bis es Gestrüpp abzuhacken gibt, so dass wir uns nicht selber der Segnungen Gottes berauben. Prediger kritisieren ist ein schlechtes Geschäft, weil keine von beiden Parteien etwas dabei gewinnt. Ein jeder hält sich für fähig, über eine Predigt zu urteilen, aber zehn unter neun könnten ebensogut vorgeben, den Mond wiegen zu können.
Ich glaube, dass die meisten Menschen das Predigen im Grund für etwas außerordentlich Leichtes halten und dass sie selber es ganz vortrefflich verstehen würden. Jeder Esel hält sich für würdig, neben des Königs Rossen zu stehen. Ich glaube, jeder, der pfeifen kann, meint, dass er auch pflügen kann. Aber glaubt es mir: Es gehört eben doch mehr zum Pflügen als zum Pfeifen!
(C. H. Spurgeon, 1834-1892)
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