Für dich

In Petrograd war 1917 die Revolution ausgebrochen. Die Bolschewisten hatten den Admiralspalast erobert. Die Insassen wussten, nun geht es auf Tod und Leben. Nach einer in Jammer verbrachten Nacht musste alles im Hofe Aufstellung nehmen. Dann kam der Befehl: Jeder Zehnte wird erschossen. Wie jeder mit Zittern darum bangte, ob er wohl der Zehnte sei! Einer aber stand ruhig mitten im Gewirr, mitten in der Angst, das war der greise Oberpriester der Admiralitätskathedrale, der schon in der Nacht die Zusammengebrochenen getröstet hatte. Neben ihm stand ein blutjunger Seekadett. Er bebte vor der Möglichkeit des Todes. Fast brach er zusammen, als sich herausstellte, dass er die Nummer zehn erhielt. Da fühlte er sich plötzlich am Arm geriffen und zur Seite geschoben. An seiner stelle stand der Oberpriester Nummer 10 vortreten! Ohne zittern trat der Oberpriester in die Reihen der Todeskandidaten. Ein Kommando - und zwanzig Menschen lagen in ihrem Blute. Dieser Fürchterliche Anblick blieb dem jungen Seekadetten unvergesslich. Er brannte in sein Inneres wie mit Feuerbuchstaben ein: Er starb für dich! Durch den Tod eines anderen lebst du! Je mehr er darüber nachdachte, um so weniger konnte er es begreifen. Was hatte dieser Oberpriester mit ihm zu tun? Er hatte sich bisher kaum um ihn gekümmert. Da kam eine tiefe Scham über ihn, der Wille stand in ihm auf, sich dieses Opfers wert zu erweisen und fortan nicht mehr sich  selbst zu leben. Als neuer Mensch kam er ins Leben zurück.

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 1530
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