Friedensstifter oder Trophäenjäger?

Vor einigen Jahren besichtigten drei andere Pastoren und ich die Mutterkirche der First Church of Christ Scientist im Geschäftsviertel Bostons. Mir waren alle vier der älteren Dame völlig unbekannt, die lächelten, als wir eintraten. Sie hatte keine Ahnung, dass sie vier evangelikale Geistliche vor sich hatte - und wir beschlossen, uns nicht vorzustellen, zumindest zunächst nicht. Sie zeigte uns verschiedene interessante Dinge im Erdgeschoss. Als wir zu der Pfeifenorgel mit mehreren Manualen kamen, begann sie über ihre Lehre zu sprechen und besonders über ihren Glauben, dass es kein Gericht in der Ewigkeit gäbe.
Dr. Bruce Waltke, einer von uns, wartete auf den richtigen Augenblick und fragte sehr beiläufig: »Aber Madam, heißt es nicht irgendwo in der Bibel: "Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht."? « Er hätte Hebräer 9, 27 auch auf Griechisch zitieren können! Aber er war so barmherzig, so taktvoll zu der kleinen Dame. Ich muss zugeben, ich stand da und dachte: »Gib es ihr, Bruce! Nun, nachdem wir sie haben, gehen wir aufs Ganze!« Die Frau sagte einfach, ohne darauf einzugehen: »Würden Sie gern den zweiten Stock sehen?«
Wissen Sie, was Dr. Waltke sagte? »Natürlich, gern, danke.« Sie lächelte, irgendwie erleichtert, und begann, uns die Treppe hinaufzuführen. Ich konnte es kaum glauben! Alles, was ich denken konnte, war: Nein, lass sie nicht so davonkommen, sie soll deine Frage beantworten! Während ich innerlich kämpfte, packte ich den Arm des Freundes und sagte leise: »He, warum hast du die Dame nicht festgenagelt? Warum hast du deine Haltung nicht durchgesetzt und sie nicht gehen lassen, bis sie geantwortet hätte?« Ruhig und friedlich legte er seine Hand auf meine Schulter und flüsterte:
»Aber Chuck, das wäre nicht fair gewesen. Das wäre auch nicht sehr liebevoll gewesen - nicht wahr?«
Da hatte ich's. Diese ruhige Zurechtweisung ließ mich taumeln. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen. Und um die Geschichte zu Ende zu erzählen, wird es Sie interessieren, zu erfahren, dass er nach kaum zwanzig Minuten mit der Frau allein dasaß, um liebevoll und vorsichtig mit ihr über den Herrn Jesus Christus zu sprechen. Sie saß mit ungeteilter Aufmerksamkeit da. Er, der gütige Friedensstifter, hatte ihr Gehör bekommen. Und ich, der Trophäenjäger, hatte eine unvergessliche Lektion gelernt. Wissen Sie, was sie in meinem Freund sah? Eine lebende Vertretung von einem der Söhne Gottes - genau das, was Gott in seiner Seligpreisung versprach:»... Sie werden Gottes Kinder heißen.«
(Charles Swindoll)

Quelle: Wie in einem Spiegel, Heinz Schäfer, Beispiel 1905
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