Falsche Liebe zu Kindern

Freiherr von Seld erzählt in Seinen Erinnerungen , wie er bei einem seiner vielen Besuche in Gefängnissen den Sohn einer Justizbeamtenwitwe traf, bei der er Früher einmal gewohnt hatte. Ihr Sohn war ein schöner Knabe mit außerordentlichen Geistesanlagen gewesen Seld hatte ihn eine Zeitlang unterrichtet und sich gefreut über die überraschenden Fortschritte des Knaben. Leider rühmten seine Mutter und deren Freundinnen seine Vorzüge, so daß er es hören konnte. Er richtete sein Benehmen daraus ein, liebenswürdig und gefällig gegen jedermann zu sein, allein gegen seine Mutter war er das gerade Gegenteil, denn - er war ihr Götze. Sie konnte ihm nichts versagen. Seld machte sie manchmal auf ihren schweren Fehler aufmerksam. Einmal entfuhr ihm das Wort: "Sie erziehen Ihren Sohn Fürs Zuchthaus." Damals war sie tief empört darüber. - Fünfzehn Jahre später traf er ihn im Zuchthaus wieder, wegen gemeinen Diebstahls auf längere Zeit verurteilt. Der junge Mensch hatte nie gelernt, sich etwas zu versagen, so waren seine Bedürfnisse weit größer geworden als seine Mittel. Er machte Schulden, fälschte Wechsel und war nun bei einem größeren Diebstahl gefaßt worden. Mehrmals sagte er zu Seld: "O wie oft habe ich hier im Zuchthaus an das Wort denken müssen, das sie damals zu meiner Mutter gesagt haben." Eines Tages war er besonders verzweifelt:
"Sie wissen noch nicht alles... Meine Mutter hat mir geflucht, auf ihrem Sterbebett hat sie mir geflucht, und ich hab's verdient: Als sie im sterben lag - da baute ich im Nebenzimmer ein Theater - und spielte Puppenspiel!" 
Mütter, das tat ein Sohn gegen die Mutter, die keinen anderen Gedanken hatte, als ihrem Liebling das Leben angenehm zu machen, die alles für ihn hingab - das war der Dank!

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 764
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