Erfahrungsmäßiges Christentum

C. H. Spurgeon:
Mir ist erzählt worden, das ein gewisser Gottesleugner einen Vortrag gegen die christliche Religion gehalten hatte und danach seinen Zuhörern Gelegenheit bot, ihm zu widerlegen. Er erwartete ganz natürlich, dass einige junge Eiferer mit den gewöhnlichen Beweisen für das Christentum auftreten würden, die er dann lächerlich machten wollte. Stattdessen betrat eine alte Frau die Plattform, die ganz altmodisch gekleidet war, einen alten Hut auf dem Kopfe trug und einen Korb am Arm hatte. Es war unverkennbar, dass sie eine arme und alte Frau war. Indem sie ihren Schirm hingestellt und den Korb niedergesetzt hatte, fing sie an und sagte: 
"Ich habe dreißig Pfennig Eintrittsgeld bezahlt, um etwas besseres zu hören, als ich in Jesus Christus habe und habe es nicht gehört. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was die Religion für mich getan hat und dann geben Sie mir etwas besseres, sonst haben Sie mich um dreißig Pfennig betrogen, die ich bezahlt habe. Ich bin seit dreißig Jahren Witwe und wurde von meinem Mann mit zehn Kindern zurückgelassen. Aber auch in der bittern Armut vertraute ich dem Herrn Jesus Christus und Er offenbarte sich mir und tröstete mich und half mir, meine Kinder so erziehen zu können, dass sie heute in Ehren ihr Brot verdienen. Keiner von ihnen weiß, welche Trübsal ein armes Weib zu durchleben hat, aber der Herr hat sich in seiner Gnade allgenugsam erwiesen. Ich bin oft bedrängt worden, aber mein Vater im Himmel hat meine Gebete erhört und mich stets errettet.
Nun sind Sie da, mein Herr, um mir etwas besseres zu sagen. Zuweilen bin ich zum Herrn gegangen, als kaum noch etwas zu essen da war und ich habe gefunden, dass Er in seiner Vorsehung gut und freundlich gegen mich war. Und als ich sehr krank lag und ich glaubte zu sterben und als mir im Blick auf meine armen verwaisten Kinder das Herz brechen wollte, da hielt mich nichts andres aufrecht, als der Gedanke an Jesum und an seine treue Liebe zu meiner armen Seele und Sie sagten vorhin, dass das alles Unsinn war. Die Jungen und Törichten hier mögen Ihnen glauben, aber nach allem, was ich erlebt habe, weiß ich, dass im Christentum Wahrheit und dass es keine Einbildung ist. Bitte, sagen  Sie mir etwas besseres, als das, was Gott für mich getan hat, sonst sage ich Ihnen, dass Sie mich um dreißig Pfennig betrogen haben. Sagen Sie mir etwas besseres."
Der Redner hatte sich auf alle Beweise gut vorbereitet, aber eine solche Kampfweise war ihm neu und darum ging er nicht darauf ein, sondern sagte nur: "Die liebe, alte Frau ist sich ihrer Selbsttäuschung so glücklich gewesen, dass ich sie ihrem Wahne nicht entreißen möchte." 
"Nein, nein," sagte sie; "das reicht nicht hin. Wahrheit ist Wahrheit und ihr Spott ändert daran nichts. Jesus Christus ist mir das alles wirklich gewesen und ich konnte es nicht ertragen, hier im Saal still zu sitzen und zu hören, wie Sie gegen Ihn sprachen. Ich fühlte, dass ich für Ihn eintreten und Sie fragen müsse, ob Sie mir etwas besseres zeigen könnten, als das, was Er für mich getan hat. Ich habe Ihn erprobt und erfahren und das ist mehr, als Sie jemals getan haben."
In dem Erproben und Erfahren Gottes liegt eine logische, unüberwindliche Kraft, die sich nicht widerlegen lässt. Der, in dessen Herz Gottes Liebe ausgegossen ist, hat einen großen innern Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion.

Quelle: Das Buch der Bilder und Gleichnisse (2000 der besten Illustrationen), Charles Haddon Spurgeon, 1904, Beispiel 20
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